Schärding: Der Preis für das Leben in einer Barockstadt

Schärding: Der Preis für das Leben in einer Barockstadt
Schärding: Der Preis für das Leben in einer Barockstadt(c) APA/MANFRED FESL (MANFRED FESL)
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Oberösterreich: Keine Panik? Trotz einer Überflutung, wie man sie hier seit fast 70 Jahren nicht erlebt hat, bleiben die Schärdinger relativ ruhig. Sie haben gelernt, mit der ständigen Gefahr durch Hochwasser umzugehen.

Schärding. „Es ist grauslich“, sagt Trude Atzmanninger und schüttelt den Kopf. Seit Jahrzehnten habe sie so ein Hochwasser nicht gesehen. Als Kind zuletzt, als das höchste bekannte Hochwasser aus dem Inn bis Schärding aufgestiegen ist, und zeigt auf die Mauer am nahen Hotel. Dort ist neben einem Christophorus-Bild der Wasserstand vom 8. Juli 1954 verzeichnet. Heute steht das Wasser noch gut einen Meter tiefer. „Das Herz“, sagt sie, legt die Hand auf die Brust, schlage bis zum Hals. „Aber die Natur, die kann man einfach nicht beherrschen.“

Und so ist in Schärding am Inn noch keine Panik, keine Katastrophenstimmung zu spüren. Obwohl der Inn seit Tagen steigt, die Stadt abgeriegelt ist, Geschäfte, Schulen geschlossen sind, Dutzende Menschen in Sicherheit gebracht werden mussten und ein Stadtteil nur mehr mit Zillen erreichbar ist. Staunen, Entsetzen, immer wieder ein „Wahnsinn, das gibts ja nicht“, wenn die Schärdinger im Regen im Schlosspark ankommen, von dem aus der Lauf des Inn, der bis zur Brücke hoch steht, der abgeschlossene Stadtteil oder das Schwimmbad eines Kurhotels, von dem nur mehr das Dach aus den Fluten ragt, von oben zu sehen ist.

Einzelne Schärdinger können sich an ein Hochwasser ähnlichen Ausmaßes erinnern. In der Kindheit mancher, im Jahr 1954 stand der Inn noch höher, daran erinnert das Christophorus-Bild an der Mauer dieses Hotels.
Einzelne Schärdinger können sich an ein Hochwasser ähnlichen Ausmaßes erinnern. In der Kindheit mancher, im Jahr 1954 stand der Inn noch höher, daran erinnert das Christophorus-Bild an der Mauer dieses Hotels. (c) Imlinger

Aber, man hat mit der Flut zu leben gelernt. Auch wenn sie in diesem Maß selten ist. Bis Montagnachmittag ist der Pegel auf 10,60 Meter gestiegen, sagt Michael Hutterer, der Einsatzleiter der Feuerwehr. Den Höhepunkt erwartete man für den frühen Abend mit 10,70 Meter. Gewöhnlich ist ein Pegel von 3,90 Meter, mehrmals jährlich steigt er auf sieben Meter an, da werden aber nur einige wenige Keller überflutet. Eine Extremsituation wie jetzt hat niemand erwartet. 150 Feuerwehrmänner aus dem Innviertel und Bayern sind im Einsatz, am Sonntag waren es 260. Das Bundesheer stehe bereit, spätestens zu den Aufräumarbeiten werde man Unterstützung anfordern.

Die Deutschen machten es anders

Am Montagnachmittag sind die Feuerwehrmänner auf Zillen unterwegs, bergen die Bewohner jener Häuser, die völlig eingeschlossen sind. 240 Menschen leben in diesen, 80 wurden bis Montagnachmittag in Sicherheit gebracht. 40 bis 60 Leute, vor allem ältere, wollen zu Hause bleiben. In Schärding versteht und akzeptiert man das, versorgt sie mit warmem Essen aus dem Krankenhaus.

Schließlich ist der Ort auf Hochwasser vorbereitet und bleibt – relativ – ruhig. Allem Entsetzen, aller Dramatik zum Trotz. „Wir sind halt eine Stadt am Inn, das Leben am Wasser, das ist Fluch und Segen“, sagt Schärdings Bürgermeister Franz Angerer. „Jetzt ist es sehr dramatisch. Aber, kennen Sie Schärding? Waren Sie am Hauptplatz? Schärding ist die schönste Barockstadt Österreichs“, sagt er, und holt zu einem kurzen Streifzug durch die Historie aus.

„Wir haben uns entschieden, die Stadt, wie sie war, zu erhalten, und hier zu leben“, sagt er. Der Nachbarort vis à vis des Inn, das deutsche Neuhaus, habe sich anders entschieden. In höheren Lagen wurde ein neuer Stadtkern geschaffen, das historische Zentrum am Inn wurde aufgegeben. „Wir haben uns entschieden: Wir erhalten Schärding und investieren in den Schutz. So animiert man auch die Leute, in ihre Häuser zu investieren und das Erbe zu erhalten.“

Es ist ein Schutz, den man nicht sehen soll. Keine meterhohen Wände sollen den Blick auf den Inn, die denkmalgeschützten Bauten, verstellen. „Bei normalem Pegel“, sagt Angerer, „sehen sie vom Hochwasserschutz fast nichts. Gegen die aktuelle Situation helfen aber all die Maßnahmen nichts. Diese schützen Schärding bis zu einem Pegelstand von 9,30 Meter. Mehr sei technisch und statisch nicht möglich. In den letzten Jahren wurde eine Kombination aus Schutzmauern und mobilen Elementen errichtet. Der erste Teil wurde 2012 fertiggestellt, der Bau von Teil zwei soll im Herbst beginnen. „Ein Schutz auf zwölf Meter ist nicht möglich. Wir sind nur für ein 30-jähriges Hochwasser gerüstet“, sagt Angerer.

Aufgeben? Nicht in Schärding

An den Stammtischen wurde am Montag freilich diskutiert, ob das genug ist, ob mehr geschehen müsse. „100-prozentigen Schutz“, so Angerer, „den gibt es nie. Sie können sich auch ein Auto mit noch so dicken Stoßstangen kaufen, wenn Sie mit 140 gegen eine Betonwand fahren, sind Sie trotzdem tot.“ So leben die Schärdinger mit dem Wasser. Ein Drittel der vier Quadratkilometer Gemeindefläche gilt als Hochwassergrund. Heute darf dort nicht gebaut werden. Die Bauten aus dem 17.Jahrhundert, die dort stehen, will aber niemand aufgeben.

„Jeden Tag“, erzählt Christine Hörmaier, schaue sie in der Früh aus dem Fenster, wie hoch der Inn steht. Am Sonntag stand er so hoch, dass sie aus ihrer Wohnung im zweiten Stock, nahe der Innlände, raus musste. „Wir leben ja mit der Angst. Aber es ist erschreckend, beklemmend, zu sehen, wie das Wasser steigt. Wenn es in meine Wohnung steigt, habe ich nichts mehr. Keine Dokumente, keine Fotos, nichts“, sagt die junge Frau.

Wegziehen will dennoch niemand, trotz des Frusts mit dem immer wiederkehrenden Wasser? „Das gab es nie“, sagt Bürgermeister Angerer. Auch heute spricht er, trotz tränenreicher Begegnungen, trotz Frustration und Wut, von großem Zusammenhalt. Aufgeben? „Da kennen Sie die Schärdinger nicht!“

Hochwasserspendenkonten

Rotes Kreuz: Erste Bank, Kontonummer 40014400144, Bankleitzahl 20111, Kennwort „Hochwasser“

Caritas: Erste Bank, Kontonummer 01234560, Bankleitzahl 20111 sowie PSK, Kontonummer 7700004, Bankleitzahl 60000, Kennwort „Katastrophenfonds Österreich“

Hilfswerk: Erste Bank, Kontonummer 29246066100,
Bankleitzahl 20111.

(c) Imlinger

Dutzende Schärdinger und Anrainer benachbarter Orte sammeln sich im Regen im Schlosspark, dem Aussichtspunkt über den Lauf des Inn, die barocken Bauten am Wasser.

"Wahnsinn", "so etwas haben wir noch nie gesehen", hört man hier, dutzende Schärdinger halten das Hochwasser mit Kameras fest.

(c) Imlinger

Ein ganzer Stadtteil ist seit Sonntag nur mehr per Zillen erreichbar.
240 Menschen leben in den Häusern, die vom Hochwasser betroffen sind. Etwa 80 Schärdinger wurden bis Montagnachmittag von der Feuerwehr evakuiert. Einige, vor allem ältere Menschen und die Bewohner der oberen Stockwerke, wollen trotzdem in ihren Wohnungen bleiben. Sie werden von der Feuerwehr mit warmem Essen versorgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2013)

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