Die Gesetzesbeschwerde birgt tatsächlich Probleme. Aber im Ernstfall ist sie Gold wert.
Todgeweihte leben länger: Die Gesetzesbeschwerde schien ad acta gelegt, nun gibt es aber doch eine politische Einigung. Jeder Bürger soll künftig Gesetze, die ihn selbst in einem Straf- oder Zivilverfahren betreffen, beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) anfechten dürfen. Der VfGH kann das Gesetz dann aufheben. Bisher war man darauf angewiesen, dass das Gericht, bei dem man gerade prozessiert, das Gesetz dem VfGH vorlegt.
Doch die Novelle bereitet Bauchweh. Nicht zu Unrecht warnen Vertreter der Justiz davor, dass das neue Instrument zum Spielzeug für Querulanten werden kann. Leute, die jetzt schon mit Befangenheitsanzeigen gegen Richter vorgehen und hinter jedem Urteil eine Weltverschwörung wittern, werden Gefallen an der Gesetzesbeschwerde finden. Und den VfGH mit Eingaben beschäftigen, während das eigentliche Zivil- oder Strafverfahren verschleppt wird.
Doch der Entwurf sieht immerhin vor, dass die VfGH-Beschwerde bereits während des eigentlichen Prozesses einzubringen ist und dass aussichtslose Beschwerden rasch zu verwerfen sind. Und man muss sich vor Augen halten, was es heißt, selbst von einem verfassungswidrigen Gesetz betroffen zu sein. Dann verliert man einen Zivilprozess, obwohl das angewandte Gesetz eigentlich illegal ist. Oder noch schlimmer: Man wird wegen einer verfassungswidrigen Norm eingesperrt.
In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten – hieß es bereits im alten Rom. Und was für den Angeklagten gilt, hat auch für die Gesetzesbeschwerde zu gelten. Im Zweifel ist die strittige Neuerung zu begrüßen. Damit niemand unter einem verfassungswidrigen Gesetz leiden muss.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2013)