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Ein Persilschein für Orbán – mit allerlei Löchern und Flecken

Ein „Presse“-Gastkommentar pries die Umgestaltung in Ungarn und ließ den dortigen Rassismus und Antisemitismus völlig unerwähnt.

Reiner Liesinger möchte in einem Gastkommentar in der „Presse“, noch dazu unter einem Pseudonym, der völkisch-konservativen Orbán-Partei und der von ihr betriebenen autoritären Umgestaltung der ungarischen Gesellschaft einen Persilschein ausstellen (31.5.).

Dementsprechend findet sich in dem ganzen Beitrag kein Wort über Rassismus und Antisemitismus, über die völkische Mobilisierung und den Geschichtsrevisionismus, wie er in Ungarn keineswegs nur von der offen rassistischen und antisemitischen, in der Tradition der Pfeilkreuzler stehenden Jobbik betrieben wird, sondern von der Orbán-Partei selbst.

Es ist nicht die rechtsradikale Konkurrenz der mit Zweidrittelmehrheit regierenden Fidesz, die aktuell in Budapest eine Straße nach der erklärten Antisemitin und Autorin Cécile Tormay benennen will, sondern die von Orbáns Partei geführte Stadtregierung. Tormay war während des protofaschistischen Regimes des mit Hitler verbündeten „Reichsverwesers“ Miklós Horthy Vorsitzende des völkisch-nationalistischen Frauenbundes.

Die Verleihung von hohen Orden durch die Fidesz-Regierung an drei deklarierte Antisemiten und Rassisten anlässlich des ungarischen Nationalfeiertags Mitte März zeigte, dass Orbán nicht daran denkt, eine klare Trennungslinie zwischen seinem nationalistisch-autoritärem Rechtskonservativismus und der Ideologie der ungarischen Nazis zu ziehen.

 

Eine Blut-und-Boden-Rede

Orbáns Blut-und-Boden-Rede vom Oktober 2012, in der er von einem unauflösbaren „Blutsbund“ aller Ungarn schwadronierte und unmissverständlich Ansprüche auf jene Gebiete erhob, in denen heute die sogenannten Auslandsungarn leben, zielte darauf ab, beim wachsenden Wählerreservoir der Jobbik zu reüssieren. An der Ehrung des Schriftstellers und Pfeilkreuzlers József Nyirö nahm neben der Jobbik-Führung auch Parlamentspräsident László Kövér teil. Bereits zwei Jahre zuvor hatten Fidesz-Bildungspolitiker diesen Nyirö wieder auf die Lehrpläne der ungarischen Schulen gesetzt und damit einen Herzenswunsch der Jobbik-Nazis erfüllt.

 

Systematische Verharmlosung

Die auf eine Aushebelung rechtsstaatlicher Verfahrensregeln abzielenden Gesetzesänderungen werden von Liesinger in seinem Beitrag systematisch verharmlost.

Welche Konsequenzen die letzte Verfassungsänderung hat, machte Orbán selbst in aller Deutlichkeit klar. Als er gefragt wurde, ob das Verfassungsgericht nun beispielsweise nichts mehr dagegen sagen dürfte, wenn das Parlament formal korrekt mit Zweidrittelmehrheit in der Verfassung verankern würde, dass Menschen gefoltert werden dürfen, antwortet er: „Ja, ein solches Gesetz könnte es nicht für nichtig erklären.“

Was Ungarns Gesellschaft braucht, in der zwei Drittel Homosexualität für unmoralisch halten, fast 70 Prozent antisemitische Ressentiments zum Besten geben und knapp 60 Prozent den Ausländeranteil von 3,1 Prozent für zu hoch befinden, ist keine Verharmlosung der magyarischen Mobilisierung, die auf eine autoritäre Formierung der Gesellschaft unter völkisch-nationalistischen Vorzeichen abzielt.

Sie braucht vielmehr die Unterstützung jener Kräfte im Land, die sich gegen diese Entwicklung stellen – zum Beispiel am 6.Juli bei der Parade für die Rechte von Schwulen und Lesben in Budapest, die in den vergangenen Jahren immer wieder massiven Angriffen ausgesetzt gewesen ist.

Stephan Grigat (*1971) ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Ein ausführlicher Beitrag von ihm zum Thema erscheint demnächst in „Sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik“.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2013)