Der Abzug beschädigt die UNO und das Ansehen Österreichs

Die Bundesregierung pfeift die Soldaten überstürzt vom Golan zurück. Sie hätte vor ihrer wichtigen Entscheidung das UN-Hauptquartier konsultieren müssen.

Vor einer Woche gab der neue Generalstabschef des Bundesheers der „Presse“ ein Interview. Othmar Commenda sprach sich darin klar gegen einen Abzug der österreichischen Blauhelme von den Golanhöhen aus. „Wir werden jetzt nicht davonrennen“, sagte er. Die Soldaten seien genauso oder vielleicht sogar weniger gefährdet als vor einem halben Jahr. Und außerdem meinte der oberste Militär des Landes ganz grundsätzlich: „Wir sind auf dem Golan, weil es gefährlich ist.“

Eine Woche später muss an diesem Satz eine kleine Änderung vorgenommen werden: „Wir sind bald nicht mehr auf dem Golan, weil es gefährlich ist.“ Die Bundesregierung hat am Donnerstag nach einer Bedenkzeit von nicht einmal zwei Stunden einen Einsatz für beendet erklärt, den österreichische Soldaten im Dienst der internationalen Gemeinschaft 39 Jahre lang ausgeführt haben.

Eine österreichische Regierung fällt selten derart schnelle Entscheidung. Was also ist passiert? Donnerstagfrüh haben syrische Rebellen an der Demarkationslinie zum israelisch besetzten Teil der Golanhöhen das sogenannte TorB erobert, den einzigen Übergang von Israel nach Syrien. Damit war die Versorgungslinie der UN-Soldaten gekappt, die nicht mehr über Damaskus läuft, seit in Syrien der Bürgerkrieg tobt.

Die Golan-Mission könne „aus militärischen Gründen“ nicht aufrechterhalten werden, argumentierten Bundeskanzler Faymann und Vizekanzler Spindelegger. Die Gefährdung der Soldaten sei inakzeptabel, der Nachschub unmöglich. Die Regierungsspitze gab mithin vor, auf Empfehlung der Militärs zu handeln.

Sie agierte überstürzt. Erstens hat sich die Situation, die den Abzugsbeschluss ausgelöst hat, binnen kürzester Zeit geändert. Die syrische Armee hat den Grenzübergang schnell zurückerobert. Möglicherweise wird sich das Problem am Tor B gar nicht mehr stellen. Klüger und eleganter wäre es auch gewesen, sich vor der Entscheidung ausgiebig mit den Verantwortlichen im UN-Hauptquartier zu beraten. Auf dem Golan handelt es sich nämlich nicht um ein österreichisches Soloprogramm, sondern um einen internationalen Einsatz. Nach einem Rückzug der österreichischen Soldaten steht die gesamte UN-Mission vor dem Ende. Im Wettlauf zum Notausgang überholte Österreich nun sogar die Philippinen, deren Außenminister vor ein paar Wochen öffentlich über einen Abzug nachgedacht hatte. Jetzt wird sich wohl niemand mehr finden, der die Lücke füllt. Der Schaden ist groß. Die Vereinten Nationen sind ramponiert, ebenso das Ansehen Österreichs: Es ist kein Verlass auf sie, wenn es brenzlig wird.


Die Pufferzone zwischen Israel und Syrien wirkt seit 1974 stabilisierend. Geht die UNO hinaus, entsteht ein Vakuum. Der Versuch, es zu füllen, könnte zur Konfrontation zwischen der israelischen und der syrischen Armee führen. Das hat gerade noch gefehlt, um das Chaos in Nahost perfekt zu machen. Der UNO kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, auf die veränderte Lage auf dem Golan nicht reagiert zu haben. Die entmilitarisierte Zone, die die Blauhelme zu beobachten hatten, hieß am Ende nur mehr so. Die UN-Soldaten hätten ein robusteres Mandat und eine stärkere Unterstützung des Sicherheitsrats benötigt, um zu verhindern, dass die syrische Armee und die Rebellen zu Israels Grenze vordringen. So konnten die UN-Truppe nur zuschauen.

Wer künftig Blauhelme vertreiben will, hat ein einfaches Rezept zur Hand. Das werden vielleicht bald auch die österreichischen Unifil-Soldaten im Libanon zu spüren bekommen: Es reicht, ein paar Mal in ihre Richtung zu schießen, einige vorübergehend als Geiseln zu nehmen, die Versorgungslinie kurz zu unterbrechen, und schon sind sie weg.

Österreichische Soldaten haben auf dem Golan jahrzehntelang wertvolle Arbeit geleistet. Sie haben auch noch während des Bürgerkriegs die Stellung gehalten, als ihre Kameraden aus Kroatien, Japan und Kanada längst über alle Berge waren. Dass ihr Einsatz nun so abrupt endet, ist betrüblich. Aber es ist ja Wahlkampf. Und dabei will weder Faymann noch Spindelegger durch schlechte Golan-Nachrichten gestört werden. Aber es war natürlich eine rein militärische Entscheidung. Von zwei Politikern.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2013)

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