Türkei: „Wir machen den Taksim-Platz platt“

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bdquoWir machen TaksimPlatz plattldquo(c) EPA (KAYHAN OZER/ANADOLU AGENCY)
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Erdoğan-Anhänger drohen mit Gewalt gegen Demonstranten. Er selbst bangt um seine Präsidentenwahl.

Istanbul. Budak Akalin steht die Angst ins Gesicht geschrieben. Der hagere 46-Jährige ist zum Istanbuler Gezi-Park gekommen, weil er seine Frau unterstützen will, die hier seit ein paar Tagen Wache hält – um zu verhindern, dass die Polizei den Park stürmt und die Bäume fällt. „Wir fragen uns, was sein wird“, sagt Akalin. Anhänger von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan haben damit gedroht, die Demonstranten im Park und auf dem Taksim-Platz nebenan „plattzumachen“. Erdoğan solle seine Leute beruhigen, sagt Akalin. Er ist nicht der Einzige, der sich Sorgen macht an diesem Tag.

Das Bauprojekt in dem Park werde durchgezogen, sagte der Ministerpräsident in der Nacht zum Freitag. Die Polizei habe zwar möglicherweise etwas viel Tränengas gegen die Demonstranten eingesetzt, aber immerhin gehe es darum, die Städte der Türkei vor „Plünderungen“ zu schützen.

Vorbereitete Provokation

Zwar betont Erdoğan nach seiner Rückkehr von einer viertägigen Auslandsreise vor mehreren zehntausend Anhängern in der Nacht am Istanbuler Flughafen, dass er nach seinem Amtsverständnis für alle Türken da sei, nicht nur für jene, die ihn gewählt hätten. Aber „Vandalen“ lehne er ab. Die Menge skandiert den Spruch vom Angriff auf den Taksim. Ein Mann hält ein Schild hoch, auf dem steht: „Ein Zeichen von Dir reicht.“

Erdoğan gibt dieses Zeichen nicht, doch seine Gegner sind überzeugt, dass die Versammlung auf dem Flughafen eine wohl vorbereitete Provokation war. „Er bezahlt den Leuten doch Geld, damit sie dort auftauchen“, sagt ein Mann im Gezi-Park. Erdoğan ist bereits im Wahlkampfmodus – die Flughafenrede hält er vom Dach eines Busses aus, mit dem er bei seinen Kampagnen durchs Land reist. 2014 wählen die Türken neue Kommunalparlamente und einen neuen Staatspräsidenten. Erdoğan strebt das Präsidentenamt an, wenn auch einige Kommentatoren wegen der Protestwelle bezweifeln, dass er nach dem höchsten Posten im Staat greifen kann.

Die harte Haltung des Ministerpräsidenten macht einige Unterstützer der Demonstranten ratlos. „Kann sein, dass er mit 50 Prozent gewählt worden ist“, sagt der Manager Al Elmas, der nicht zu jener Hälfte der Wähler gehört, die Erdoğans Partei AKP 2011 ihre Stimme gaben. „Aber sind wir etwa keine Menschen?“ ruft er aus. Die Polarisierung der türkischen Gesellschaft werde immer schlimmer.

Anders als Erdoğan bemüht sich Staatspräsident Abdullah Gül darum, die Wogen zu glätten. Er warnt die Menschen in der Türkei davor, auf Andersdenkende Druck auszuüben, was alle als Kommentar zu Erdoğans unnachgiebiger Haltung verstehen.

Auch die türkischen Fußballfans verstehen die Proteste als Chance zur Versöhnung, nicht zur Spaltung. Noch vor wenigen Wochen hatten sich die Anhänger von Fenerbahce und Galatasaray Istanbul in einem Meisterschaftsspiel angefeindet; Galatasaray holte schließlich den Titel, Fenerbahce den Pokal. Nun wollen die Fans erstmals wieder gemeinsam und ohne Gewalt ein Spiel verfolgen: den so genannten Super-Cup, eine Begegnung des Meisters und des Pokalsiegers.

Zaghaftes Signal

Vielleicht hat so viel Eintracht sogar dem strengen Ministerpräsidenten zu Denken gegeben. Am Freitagnachmittag hielt Erdoğan eine Rede bei einer EU-Veranstaltung in Istanbul. Er wiederholt seine These von den gegen ihn gerichteten Motiven hinter den Protesten. Aber auf seine ruppige Art lässt er plötzlich auch ein wenig Gesprächsbereitschaft erkennen. Wenn die Umweltschützer im Park etwas bewegen wollten, dann sollten sie es mit ihm zusammen tun, sagt Erdoğan. Und: Er wolle auf dem Gelände des Gezi-Parks noch viel mehr Bäume pflanzen lassen. Kein großer Schritt auf die Demonstranten zu, keine Versöhnungsgeste. Trotzdem der erste kleine Lichtblick nach einer Woche Konfrontation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2013)

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