Pop

130 Blicke auf Wiens Popgeschichte

(C) Falter
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Vier Musikbegeisterte haben für ein Buch über Wiens Pop 130 Akteure befragt. Es zeigt auch: Heute hört man ganz anders.

Das Hören von Popmusik hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Das, was euphemistisch als Revolution bezeichnet wird, ist durchaus mit Verlusten verbunden. Die Idee des Hi-Fi etwa ist tot. Beim Belauschen von MP3-Files kommt erst gar nicht die Idee auf, der Musik räumliche Dimensionen erschließen zu wollen. Heutzutage hört man Musik am liebsten per Telefon. Wenn das nicht geht, am Computer.

Es gibt keine Cover mehr. Damit fehlen die Informationen über Herkunft und Bauart der Musik. Nur mehr selten werden Geschichten über Popmusik erzählt, deren historische Dimension auf Sendern wie FM4 absichtlich vernachlässigt. Alle Seligkeit soll im Hier und Jetzt gefunden werden.

Das war nicht immer so. Jahrzehntelang war Popmusik Synonym für eine Tradition des Widerständigen. Heute, wo sich auch politisch rechte Gruppierungen der Rituale der Popmusik bedienen, ist ihr prinzipiell aufmüpfiger Charakter dahin. Das nächste Woche erscheinende Buch „Wien-Pop“ versucht eine vielstimmige Erzählung dessen, was einst so abenteuerlich war.

„Falter“-Autor Gerhard Stöger hatte die Idee, Wiens Pop-Historie durch seine Protagonisten erzählen zu lassen. Welterfolge und Austropop, Freakiges und Wunderliches, vom Post-Rock-'n'-Roll über Agitprop und Austropop bis zur Downbeat-Kuschelelektronik – alles sollte mittels Oral-History-Methode erhellt werden.


Als sich die Sache zur Sisyphusarbeit entwickelte, holte Stöger drei weitere Langzeit-Popmusikbegeisterte an Bord. „Presse“-Kolumnist Walter Gröbchen hatte schon in den Neunzigerjahren ein Buch über Austropop verfasst, Florian Obkircher ist Elektronikenthusiast, der von London aus für mehrere Medien reportiert. Thomas Mießgang hat mehrere Bücher zu Themen wie Free Jazz und kubanischer Musik verfasst und als Musiker beinah epochale Songs wie „Wien ist in“ geschaffen.

130 Flaneure, Funktionäre, Produzenten, Musiker und DJs wurden vors Mikrofon gebeten. Ihre Geschichten, die von den Fünfzigerjahren bis zum Millennium reichen, klingen, wenn es etwa um die Aura von Vinylschallplatten geht, wie Mythen aus fernen Tagen. Der in einem kärntnerischen Dorf aufgewachsene Stöger ist in der großen Stadt als manischer Sammler bekannt, dessen Fingerkuppen meist schwarz vom Wühlen sind. Er glaubt an das existenzwendende Potenzial der Popmusik. Originelles zutage zu fördern ist ihm wichtig in Zeiten, in denen Leute in Lokalen stehen, die stolz darauf sind, mit Laptops aufzulegen, ohne je ein Stück erworben zu haben.

Früher regierte ein Snobismus anderer Art. In den ersten Jahren der Wiener DJ-Kultur stieg das Ansehen mit dem Wert der Schallplatten. Je mehr finanzielle Opfer einer brachte, umso höher war seine Reputation. In einem Club wie der Soul Seduction, die zwischen 1987 und 1993 bis zu 1500 Menschen montags in den Wiener Volksgarten lockte, dreht sich alles um Rare Grooves. Das Zelebrieren der Aura von Vinyloriginalen gemahnte durchaus an alten Reliquienkult. Sammeln war plötzlich mehr als nur narzisstische Expansion. Existenzielle Verzagtheit verwandelte sich beim Auflegen in Akte des Triumphes, zuweilen der Prahlerei.

DJ Geb.El etwa war berühmt dafür, die Labels seiner Platten mit irreführenden Etiketten zu versehen. Damals erkannte Wien, wie wichtig passionierte DJs waren. Bis dahin war das soziale Renommee der Plattenreiter eher parterre. Nur wenige konnten sich einen Namen machen. Herr Réne etwa, der das Atrium, Wiens älteste Diskothek, von den späten Sechzigerjahren in die frühen Achtzigerjahre führte. Oder der legendäre Heinrich „Lippy“ Behrends. Seine Karriere startete er als Bassist in Karl Ratzers Beatband Slaves. Einen größeren Ruf erarbeitete er sich als gefühlvoll mixender Musikdramaturg im Marihuananebel des Voom Voom.

In einem ebensolchen wurde wohl in den späten Siebzigern die Idee geboren, den Weltrekord im Dauerauflegen zu erkämpfen. Am Ende bekam Lippy seinen Eintrag im Guinness-Buch. Was sein Leben letztlich nicht auf glücklichere Bahnen brachte. Vor einigen Jahren starb er mehr oder weniger vergessen. Der Nachruhm rauschender Nächte, er ist halt letztlich kurz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2013)

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