Bilder keiner Ausstellung: Wie wir den Urlaub festhalten

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Gibt es wie Sand am Meer: Urlaubsfotos. Quantitativ die meist verbreitete Form der Fotografie. Was mit den ersten Expeditionen begonnen hat, ernährt einen ganzen Industriezweig - allerdings nicht mehr Kodak.

Roald Engelbregt Gravning Amundsen stürzte in Gletscherspalten, wurde von Eisbären angefallen, steckte mit seinem Schiff wochenlang im Packeis fest, vergiftete sich mit Kohlenmonoxid, lernte von den Inuit, erlegte eigenhändig Robben, hungerte erbärmlich, erreichte als Erster den geografischen Südpol (und vermutlich auch den Nordpol) – während dieser Mann also eine ganze Menge erlebt und zu erzählen hatte, brachte er nach Jahren des abenteuerlichen Unterwegsseins weniger Fotos mit, als sie heute ein Pauschalurlauber in sieben Tagen Lignano produziert.

Offenbar hat sich dank der modernen Technik ein Missverhältnis zwischen der Dichte von Erlebnissen und ihrer Aufzeichnung gebildet. Ein weiterer Hinweis darauf, dass unsere Zivilisation mit viel Gedöns, Material und Ausrüstung ins Leere stolpert.

Dabei hat Amundsen zweifellos die klassische Urlaubsfotografie begründet: in Form einer Aufnahme aus dem Jahr 1911, die den Polarforscher und drei Gefährten vor einem armseligen Zelt mit Wimpel, das den Südpol darstellt, zeigt, und das bedeuten soll: Ich war da.


Eisbär im Anmarsch. Damals überlegte man sich freilich noch, wann man das fotografische Gestell und die Bildplatten auspackte und zusammenbaute. In der Zeit konnte sich ein Eisbär nähern. Aus Amundsens eigenen Aufnahmen von der Südpol-Expedition wurde übrigens nichts, weil seine Kamera streikte. Mitgeschleppt hat er sie trotzdem, weil er das leider nicht wusste, ein nicht unwesentlicher Nachteil der Bildplattentechnik.

Wir hingegen haben irgendwann angefangen, Zehen zu fotografieren, die sich in den Sand graben, einfach deshalb, weil uns der Anblick gefällt und ein Foto heute nicht viel mehr Aufwand bereitet als mit den Augen hinzusehen. Bloß hinsehen reicht uns auch nicht mehr, wir müssen festhalten, mitnehmen und mitteilen, was wir sehen. Vielleicht, weil wir sonst Angst haben, es nicht erlebt zu haben.

Das soll nicht kulturpessimistisch klingen, dafür fehlt uns die philosophische Lizenz. Es ist wohl auch völlig okay, Bratwürste und Cocktails zu fotografieren, als würden sie das Land, in dem sie schließlich verzehrt und gekippt wurden, erläutern. Vielleicht tun sie das sogar, äußerst authentisch, und zwar aus Sicht des Gereisten.


Austern und Cracker. Ein Beispiel: Der Bruder ist gerade auf Urlaub in den USA, und wir zu Hause dürfen ihn in Echtzeit begleiten, zumindest auszugsweise. Per E-Mail tröpfelt die Galerie einer Reise ein, 8000 Kilometer entfernt, während wir am Schreibtisch sitzen oder auf der Couch hocken.

Die Reise ist noch im Gange.

Was haben wir bislang?

Als Erstes kam ein leger gedeckter Tisch: Austern und Cracker, vermutlich in Küstennähe. Fraglos ein frühes Erfolgserlebnis für den, der gerade einem winterlichen Vorsommer in Wien entronnen ist.

Dann ein tatsächlich ganz enormer Burger samt Fritten und Bier: Amerika und Adipositas, eleganter gesellschaftskritischer Seitenhieb. Und garantiert eine volle Wampe.

Später: Krabbenburger, bekannt aus Spongebob, aber zu Hause nicht zu bekommen.

Weiters: Mietwagen (Marke Dodge, schwarz, imposant) vor einem Motel, dieses zu 34 Dollar die Nacht, wie wir erfahren. Anmerkung: „Elisabeth lacht nur für das Foto.“ Verständlich. Das Gebäude sieht aus wie in Tschernobyl.

Immerhin, sie lacht. Anders als in Kriegsreportagen und bei Model-Shootings wird auf Urlaubsfotos gelacht, gegrinst, mindestens grimassiert. Tun wir völlig automatisch.

Gefolgt von Mietwagen vor Motel, schon respektabler: „58 $ die Nacht“.

Selbstporträt am Strand, mit badenden Menschen. (Freut mich, in Wien hat es 12 Grad. Es ist Juni.)

Höchste Zeit für ein Essen. Tatsächlich: „Jause!“ Krabbenteile, Kukuruz, Mayo.

Letzter Eingang: „Na, super. Tropical Storm Andrea is in (sic!) the way. Wütet gerade in Tampa, am Abend dann bei uns.“

Kein Foto dabei. Das nennt man Spannungsbogen.


Ökologischer Gewinn. Am 19.Jänner 2012 stellte die Eastman Kodak Company einen Insolvenzantrag. Ein paar Monate später stellte Kodak die Produktion von Diafilmen ein. Das ist, wie wenn McDonald's aufhört, Burger zu verkaufen. Nur war es nicht das Ende der Fotografie, die ohnehin nie in der Urlaubsknipserei zu Hause war, sondern die Erlösung von verhedderten Rollen und Filmwucher im Ferienort.

Mittlerweile haben auch die Omas auf digital umgestellt, wenn auch nicht freiwillig. Zu Recht misstrauen sie dem flüchtigen Charakter einer Bildschirmansicht. Wo ist das Bild, das echte?

Ökologisch ist das vermutlich ein Gewinn: jedes Jahr Billionen Bilder weniger, die mit Hilfe ätzender, stinkender Chemikalien auf Glanzpapier gebannt werden. All die Milliarden, die früher wegen Unschärfe und roter Augen schon im Drogeriemarkt aussortiert wurden – heute löscht sie ein Tastendruck.

Das kollektive Urlaubsgedächtnis der Welt formiert sich in Bits und Pixeln. Ohne Strom ist es nicht mehr greifbar. Nur Liebhaber des Bildes und Anhänger des Haptischen lassen noch Abzüge und Fotobücher machen. Der Rest ist Facebook.


Ende des Vortrags. Das hat auch Vorzüge, wie das Ende des privaten Diavortrags. Wer heute mit Ausrüstung und Ambition nennenswertes Bildwerk produziert hat, stellt im Internet eine Galerie zusammen und verschickt den Link an Freunde und Familie. Kunstvolles Überblenden, raffiniert unterlegter Soundtrack, gekonnte Special Effects: alles dabei. Nur kann der Betrachter nach erschöpfter Aufmerksamkeit den Vortrag selbst beenden.

Woran denken wir, wenn wir im Urlaub fotografieren? An die zu Hause Gebliebenen, in ihrem ganzen armseligen Nichtdabeisein. Es gefällt uns, Futter- und Klimaneid zu erzeugen. Deswegen knipsen wir so gern volle Teller, Palmen und Strände.

Zweite Kategorie von Motiven: wir selbst. Wie Paparazzi folgen wir uns auf Schritt und Tritt, um im günstigen Augenblick draufzuhalten. Unbedenklich, solange wir die Hoheit haben, Meuchelbilder zu löschen.

Schließlich Lokalkolorit. Exotische Verkehrszeichen – Achtung Elch, Klassiker des Nordens, daran können wir gar nicht vorbeifahren. Tuk-tuks in Bangkok. Hohe Häuser in New York. Und generell alles, was nach Monument aussieht: Wenn sich jemand die Mühe gegeben hat, es zu errichten, ist es uns allemal einen Auslöser wert. Aber fragen Sie uns nicht, wo das war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2013)

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