Der Fotograf und die weißen Flecken

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Das Projekt "Closed Cities" von Gregor Sailer zeigt Städte, die isoliert von unserer Wahrnehmung liegen.

Auch nicht unbedingt das Terrain, auf dem sich allzu viele Fotografen bewegen: Orte, die auf der Landkarte des Bewusstseins nichts als weiße Flecken sind. Vom afrikanischen Minenfeld in der Wüste in die scheinbare Geborgenheit hinter Stacheldraht in einem argentinischen Pseudoparadies des Wohnens. Wohin der Tiroler Fotograf Gregor Sailer seine Kamera richtete, da hat der Rest der Welt noch nicht hingeschaut. Dafür haben umso strenger die Sicherheitskameras, die Geheimdienste, die Staatsmacht und andere Obrigkeiten diese Orte im Blick.

Sailer dokumentierte die „Closed Cities“ mit der analogen Großformatkamera. Von Sibirien über Aserbaidschan, Katar, Chile, Algerien bis nach Argentinien. „Geschlossen“ sind sie, wie die Geheimstädte in der früheren Sowjetunion. Isoliert, abgeschottet, durch Zäune, Mauern oder schlicht durch das lebensfeindliche Umland, liegen sie außerhalb des Bewusstseins der Welt. Jede erfüllt einen Zweck, auf ihre Art, einen politischen, sozialen oder ökonomischen. „Allen Städten gemeinsam ist, dass sie gesperrt sind und künstlich geschaffen für einen bestimmten Zweck“, erzählt Sailer. Die Rohstoffgewinnung kann einer davon sein. Oder auch die Furcht vor dem kriminellen Rest der Welt, wie in Nordelta in Argentinien, einer Gated-Community. „Ein Pseudoidyll in einer perfekten Welt. Aber überwacht wie in der Truman–Show“, sagt Sailer. Einen Kontinent weiter, in Afrika, haben die Einwohner dagegen keine Wahl. Weil sie geflohen und gestrandet sind. Im Wüsten-Irgendwo, das Westsahara heißt, in einer Flüchtlingsstadt.

Menschenleer. Die Bilder der „Closed Cities“ zeigt das Buch, das im Kehrer Verlag erschienen ist. Und zurzeit auch eine Ausstellung in Innsbruck. Stadtbewohner sind auf den Fotos nicht zu sehen. Denn die strenge Zensur der Behörden ließ das nicht zu. Die teils surreal anmutenden Fotos zeigen die Städte menschenleer. Und die Architekturen blutleer. Der Funktion und dem Zweck sind die Strukturen gewidmet. Nüchtern sind die Bilder, aber unbarmherzig trotzdem, indem sie soziologische, politische und ökonomische Bedingungen entblößen, die dafür verantwortlich sind, dass Menschen an solchen Orten leben, unter ständiger Kontrolle. „Man kann die Bilder rein visuell lesen und sich auf die Ästhetik einlassen“, sagt Sailer, „oder man sieht dahinter die inhaltliche Ebene“.

Der Weg an die jeweilige Foto-Location war einer voller Sackgassen und Umleitungen: Nur Spezialgenehmigungen, extreme Frustrationstoleranz, viel Geduld und Beharrlichkeit führten den Fotografen an die Orte, die sogar Google Maps ausblenden muss. Gregor Sailer geriet zwischen Minenfelder genauso wie unter Spionageverdacht in Aserbaidschan. Und mit der Ungewissheit, wie und ob die Aufnahmen überhaupt klappen, waren da noch andere ständige Begleiter: die Militärs, die Soldaten, ihre Waffen und zum Teil der Zeitdruck vor Ort. „Man bereitet sich Jahre vor, ohne zu wissen, was letztendlich dabei rauskommt.“ Plötzlich werden Sailer nur drei Stunden vor Ort gewährt. Oder der Geheimdienst wird argwöhnisch. Keine Testreise davor. Keine zweite Chance danach. „Man braucht schon Ausdauer. Und man bezahlt einen hohen Preis“, sagt Sailer. Auch psychisch. „Bis zur Ausstellungseröffnung in Innsbruck im Mai war es ein Prozess von insgesamt vier Jahren“, berichtet Sailer. Das Planen, das Einreichen von Unterlagen, das Abgewiesen- und das Hingehaltenwerden – das dauert. Und das zehrt.

Ferne Welten. Die Plätze, an denen Sailer seine Fachkamera aufstellte, schienen ferner zu sein, als sie geografisch ohnehin schon waren. Die Nähe zu den Menschen war von der Zensur ohnehin nicht gewünscht. Die Kommunikation mit den Einwohnern war verboten. Trotzdem hat er am Rande der Reisen Menschen kennengelernt, die er bewundert. Allein für ihren „unglaublichen Lebenswillen“ in der Westsahara etwa. Und für ihre Gastfreundschaft.

Sailers Interesse an den „Closed Cities“ entstand, als er sich Fragen der Urbanität in seinen Recherchen widmete. Den „Shrinking Cities“, den Städten, denen Einwohner und Existenzberechtigung abhandenkommen, war er anfangs schon begegnet. Dann stieß er auf die urbanen Strukturen, die geheim, künstlich und isoliert auf dem Planeten verstreut liegen. „Mir war es wichtig, eine großes Spektrum an Architektur mit diesem Projekt zu zeigen“, sagt Sailer. Und zu sehen ist dieses zurzeit noch in einer Ausstellung in der Galerie im Taxispalais in Innsbruck (bis 28. Juli). Sie legt auch Hintergründe des Projektes dar, die man im Buch in den Begleittexten aufgrund der Zensur zwischen den Zeilen lesen muss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2013)

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