Auf der Suche nach dem versteckten Bild

Suche nach versteckten Bild
Suche nach versteckten Bild(c) Fabry
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Tausende Bilder halten Überwachungskameras von jedem Wiener Tag für Tag fest. Manchmal legal, manchmal nicht. Eine Spurensuche.

Plötzlich sind sie überall. Wie ein Schwarm Stubenfliegen, der sich über die Stadt ausgebreitet hat. Stumm schauen sie zu. Eine thront über dem Lagerplatz des Firmengeländes gegenüber – der Zoom einer Billigkamera würde reichen, um in die Wohnung zu sehen. Die an der Bank überblickt die ganze Straßenflucht, eine vor dem Wettlokal, in der Postfiliale, vor der Trafik. Auf dem Monitor im Billa kann man sich selbst beim Obstkauf zuschauen. Man muss nur den Blick heben, dann sind sie da.

Hunderttausende Bilder nehmen Überwachungskameras in Wien jede Sekunde auf. Was sehen sie, wer sitzt dahinter, wo im Datennirwana landen diese Bilder? Die Protagonisten der großen Alltagsdokumentation, die so entsteht, wissen darüber nichts. 8000 behördlich gemeldete Überwachungskameras dürften in Wien installiert sein, schätzt Datenschutzaktivist Georg Martin Kainz vom Verein Quintessenz, der etwa die Big Brother Awards organisiert. Mindestens so viele, heißt es von der Datenschutzkommission (DSK). Offizielle Zahlen gibt es nicht. Dazu kommen die nicht meldepflichtigen Kameras und jene, die illegal installiert sind.


Wien als Panoptikum? „Die Kamera da oben“, sagt Kainz im Museumsquartier und deutet über den Haupthof, kann da drüben in der Zeitung mitlesen. Ein paar Dutzend Kameras sind im MQ installiert. Liegt man auf einem Enzo, plaudert in einem Café, fallen sie kaum auf. So hoch reicht der Blick gewöhnlich nicht. Oder – man blendet sie aus.

„Videoüberwachung“, sagt Kainz, „hat zwei Folgen. Die erste: Man fühlt sich beobachtet, kontrolliert, wird psychisch krank. Man versucht, sich immer konform zu verhalten.“ Panoptismus nannte Michel Foucault das Prinzip, dass Überwachung zu einer Disziplinierung der Gesellschaft, zu Konformismus führt – angelehnt an das Panoptikum des Jeremy Bentham, einem Baukonzept für Fabriken oder Gefängnisse, in denen ein Einzelner, der unsichtbar bleibt, alle überblickt. „Die zweite Reaktion: Man vergisst die Kameras und macht, was man will“, sagt Kainz. Die Entscheidung derer, die durch das MQ schlendern, fällt wohl auf Zweiteres.

„Die da oben“, sagt Kainz, „ist hochauflösend“, deutet auf jene über dem Eingang. Hinweise auf die Videoüberwachung sieht man – auf den ersten Blick – kaum. Oft fehlen sie ganz.

„Bitte lächeln, wir gehen auf eine Kamera zu“, sagt Kainz in der Breite Gasse hinter dem MQ. „Da wieder, über den Klingelschildern.“ Keine zehn Meter weiter die nächste. Und wieder, über der Tiefgarage der Leiner-Filiale an der Ecke Mariahilfer Straße. In der italienischen Modefiliale auf den Eingangsbereich gerichtet, „so eine kann bis zum Nachbarn gegenüber mitlesen“, sagt Kainz. „Eins, zwei, drei“, zählt er im nächsten Kleiderladen, im Dönerlokal hängt sie an der Decke, im Coffeeshop hängen gleich zwei in einer Ecke, jene an der Außenfront eines Hotels überblickt die ganze Gasse. Geschäfte ohne Kameras? Kaum.

Spy Cams zum Spottpreis. Die Mariahilfer Straße, ein Brennpunkt der Überwachung? „Nein“, sagt Kainz. Seit zwei, drei Jahren seien Geschäfte in Wien fast flächendeckend überwacht. Er spricht von einem „Dammbruch“. Wer dabei wen filmt, wie weit Objektive reichen, ob Attrappen hängen, Bilder gespeichert werden oder nur ein Portier vor Bildschirmen döst, das lässt sich nicht erkennen. Ebenso wenig wie versteckte Kameras. Und winzige Spy Cams sind im Netz zu Spottpreisen zu haben.

Private Videoüberwachungsanlagen müssen, sobald sie Daten aufzeichnen können, der DSK gemeldet werden. Sie beurteilt, ob die Überwachung zulässig ist. Nicht meldepflichtig sind Echtzeitüberwachungssysteme. Anlagen von Juwelieren, Banken, Trafiken oder Tankstellen sind ebenso von der Meldepflicht ausgenommen, solange das Bildmaterial nicht länger als 72Stunden gespeichert wird. Attrappen sind, so die DSK, nicht meldepflichtig.

Öffentlicher Grund darf allerdings von Privaten nicht gefilmt werden. Auch Kameras zur Mitarbeiterkontrolle sind nie erlaubt, ebenso wie jene, die in privateste Räume – Toiletten oder Umkleidebereiche – vordringen. Ob meldepflichtig oder nicht – wer gefilmt wird, muss dem erst (indirekt) zustimmen. Jede Kamera müsste so gekennzeichnet sein, dass man ihrem Blickfeld ausweichen kann. Eine Auflage, die viele verletzen.


Das Netz der Beobachter wächst. Welche Bilder halten diese Kameras fest? Welche neue Dokumentation des Alltags der Stadt entsteht, das soll niemand sehen. „Rechtlich unklar“, „zu heikel“, „technisch nicht möglich“, heißt es auf Anfragen, ob man das eigene Bild sehen dürfe. Grundsätzlich hätte man als Betroffener laut Datenschutzgesetz das Recht, alle zur eigenen Person verarbeiteten Daten einzusehen.

Dieses Auskunftsrecht gilt – ausgenommen ist die Echtzeitüberwachung – auch für Videos. In der Praxis ist es aber kaum oder nur nach langwierigen Behördenwegen durchzusetzen. Derzeit ist beim Verwaltungsgerichtshof ein Verfahren dazu anhängig. Aber, die Beschwerden wegen Kameras werden mehr, sagt Gregor König von der Datenschutzkommission. Er spricht von ein-, zweihundert im Jahr. Noch bleiben die tausenden Bilder, die täglich in Wien entstehen, aber versteckt. Bloß das Innenministerium lässt uns die Monitore fotografieren, neun „verlängerte Augen“, die den Eingang Herrengasse überwachen – aber dabei nichts aufzeichnen.

Als der Fotograf die Kamera auf den Monitor im Eingangsbereich einer Drogerie richtet, schrecken Passanten zurück, bleiben stehen, weichen aus. Die Überwachungskamera aber hat keinen Effekt. „Wir verlieren das Gespür dafür“, sagt Datenschützer Kainz. Hätte man Zugang zu sämtlichen Kameras in Wien, ließe sich, schätzt er, aber noch kein Bewegungsprofil Einzelner erstellen. Die Betreiber von Smartphone-Apps können das längst – für ihn ein dramatischeres Problem. In Städten wie London gelinge das auch via Kameras, und Wien nähert sich dem. Das Netz der Kameraaugen, die über den Straßen hängen und still beobachten – es wächst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2013)

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