Schaulustig im Weg stehen

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Bei den Hochwassereinsätzen in Deutschland waren Gaffer ein Problem für die Einsatzkräfte - in Österreich haderte man nur mit unkoordinierten Helfern.

Am deutlichsten sprach es Klosterneuburgs Bürgermeister Stefan Schmuckenschlager aus: Das Hochwasser der vergangenen Tage habe nicht nur vorbildliches und lobenswertes Verhalten in den Menschen hervorgebracht – sondern auch „Ignoranz“ und „Verantwortungs- und Rücksichtslosigkeit“. Der Bürgermeister bezog sich da auf einige Bewohner einer überschwemmten Siedlung, die aufgefordert worden waren, das Augebiet zu verlassen – das aber ignorierten, um schließlich unter teilweise lebensgefährlichen Umständen geborgen zu werden.

Katastrophen wie jene der vergangenen Woche veranlassen aber nicht nur einige Betroffene zu törichtem Verhalten – vom einfachen Verkehrsunfall bis zum ausgedehnten Hochwasser berichten Medien immer wieder davon, wie Einsatzkräfte von Schaulustigen behindert werden, die auf der Jagd nach dem besten Katastrophenfoto wichtige Einsatzwege blockieren. Das Phänomen ist nicht neu – aber ist es mit dem Aufkommen der weit verbreiteten Fotografie wirklich zu einem Problem geworden?

Nein, sagt Franz Resperger, Sprecher des niederösterreichischen Landesfeuerwehrkommandos. „In Wahrheit ist genau das Gegenteil der Fall: Die Katastrophe hat eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst.“ Im überfluteten Emmersdorf, wo er gerade stehe, würden die Helfer permanent mit Essen, Schokolade, Kuchen und Getränken versorgt, Probleme mit Schaulustigen habe es in den vergangenen Tagen nicht gegeben.


Der „Gaffer“ als Hindernis. In Deutschland hat man das in den vergangenen Tagen anders erlebt: Hier gilt der „Gaffer“ inzwischen als fast so schlimme Plage wie das Hochwasser selbst. Helma Orosz will dem Treiben solcher Katastrophentouristen nicht mehr untätig zusehen. „Das Schlimme ist, dass ihr Verhalten nicht nur gefährlich für sie selbst, sondern auch für die unschuldigen Helfer ist“, sagt die Bürgermeisterin von Dresden. Seit Mittwoch gilt in der sächsischen Landeshauptstadt eine Polizeiverordnung, die rücksichtslose Schaulust unter Strafe stellt: Innerhalb eines Schutzstreifens von zehn Metern Breite ist es verboten, die Hochwasserschutzanlagen entlang der Elbe zu betreten und zu befahren. Wer es dennoch tut und damit die Hilfsarbeiten behindert, dem drohen bis zu 1000 Euro Strafe.

Die Verordnung „ist für diejenigen gedacht, die anscheinend kein Verantwortungsgefühl für ihre Mitbürger empfinden“, erklärt Orosz. Im niedersächsischen Lüneburg kommt das Gaffen die Gaffer noch teurer zu stehen: Wer dort den Deich betritt oder Rettungskräfte behindert, riskiert ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro. Schon Anfang der Woche forderte der Chef der bayerischen Feuerwehren hohe Geldstrafen: „Wenn er weiß, dass er 2000 bis 3000 Euro Strafe zahlen muss, wird es sich der Gaffer vielleicht überlegen.“

Sind solche radikalen Maßnahmen notwendig? Das traditionelle Mittel, sich der Schaulustigen bei Naturkatastrophen oder Unfällen zu erwehren, ist in Deutschland der „Platzverweis“. Auch die Feuerwehr kann auf diese Weise die im Weg Stehenden auffordern, den Ort des Einsatzes zu verlassen. Aber sie kann den Platzverweis nicht durchsetzen. Dazu braucht es die Polizei, nur sie kann Bußgelder verhängen – und das auch nur im Falle einer massiven Behinderung. In aller Regel bleibt es jedenfalls bei einer Ordnungswidrigkeit. Strafbar macht sich der Schaulustige nur dann, wenn er mit Gewalt versucht, die Einsatzkräfte von ihrer Arbeit abzuhalten.


Sperrzone Hochwasser. Die Rechtslage in Österreich ist ähnlich, heißt es aus dem Innenministerium: Bei akuter Gefahr könne die Polizei Umstehende wegweisen, für länger andauernde Umstände könnte die Sicherheitsbehörde – meist die Bezirkshauptmannschaft – Sperrzonen verhängen, in denen Personen längerfristig Platzverbote erteilt werden können. Bei den aktuellen Hochwasserarbeiten sei das aber nicht notwendig gewesen.

„Natürlich kennen wir das Phänomen, dass Menschen neugierig sind, wenn es zu einer Katastrophe kommt,“ sagt Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes. „In Situationen wie der jetzigen appellieren wir an alle Menschen, so vernünftig zu sein, nicht aus Neugierde in ein Katastrophengebiet zu fahren.“ Strengere Strafen für Schaulustige seien aber nicht notwendig: „Wir setzen in erster Linie auf die Vernunft“, sagt Foitik, „und nicht auf strengere Gesetze.“

Insgesamt, so heißt es aus den Einsatzorganisationen unisono, seien Schaulustige in Österreich kein primäres Problem. Ein größeres Hindernis seien oft hilfsbereite Menschen, die auf der Suche nach einer Aufgabe unkoordiniert in den Einsatzgebieten herumirren – und so erst wieder den Einsatz behindern. Die Lösung, auf die Rotes Kreuz und Feuerwehr verweisen: „Registrieren Sie sich beim Team Österreich“ – die gemeinsame Aktion mit dem ORF sei geeignet, besonders jetzt, bei den Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser, Massen von Helfern zu koordinieren, sodass jeder sinnvoll helfen könne. Ganz ohne anderen im Weg zu stehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2013)

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