"Verschwendung": Athen schließt staatlichen Rundfunk

Griechenland hat vorübergehend seine staatlichen Hörfunk- und Fernsehsender geschlossen.
Griechenland hat vorübergehend seine staatlichen Hörfunk- und Fernsehsender geschlossen.(c) EPA (ALKIS KONSTANTINIDIS)
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Griechenland spart beim Rundfunk und schließt den Sender ERT. Die Kritik ist vehement: Sogar von einem "Staatsstreich" ist die Rede. Mittlerweile streiken alle Journalisten des Landes.

Der Schritt war nur wenige Stunden zuvor angekündigt worden: Griechenland hat seine staatlichen Hörfunk- und Fernsehsender geschlossen. Die drei Fernsehkanäle und die Hörfunkprogramme des Senders ERT stellten am Dienstagabend kurz nach 23 Uhr den Betrieb ein. Die Bildschirme wurden schwarz. Die Sender, die jährlich rund 300 Millionen Euro kosten, seien "ein typischer Fall unglaublicher Verschwendung" geworden, begründete Regierungssprecher Simos Kedikoglu noch am Dienstag den Entschluss der Regierung. Am Mittwochvormittag kündigte die Regierung dann ein Gesetz für "einen neuen griechischen Rundfunk" an. Der Gesetzentwurf zur Neuregelung von Fernsehen, Radio und Internet soll am Nachmittag in der zuständigen Kommission erörtert werden.

Die Entscheidung stellt die Koalition vor eine neue Belastungsprobe, da zwei Partner entschiedenen Widerstand ankündigten. "Wir sind absolut gegen die Entscheidungen und deren Umsetzung durch die Regierung", erklärte die sozialdemokratische Pasok-Partei. Ähnlich äußerte sich die Demokratische Linke (Dimar), mit der Samaras' konservative Nea Dimokratia ebenfalls koaliert. Der Chef der linksradikalen Oppositionspartei Syriza, Alexis Tsipras, sprach von einem "Staatsstreich".

Entgegenkommen an Geldgeber

Die von Gewerkschaften umgehend scharf kritisierte Maßnahme ist auch ein Entgegenkommen an die internationalen Geldgeber, die derzeit in Athen den Stand der Reformen überprüfen. Die Polizei habe die Hauptsendeantenne auf einem Berg nahe der Hauptstadt Athen ausgeschaltet, hieß es aus Gewerkschaftskreisen. "Das ist illegal", sagte der Präsident der wichtigsten Gewerkschaft der Fernsehmitarbeiter, Panagiotis Kalfagianis. Zeitgleich zum Programmstopp veröffentlichte das Finanzministerium eine Mitteilung, wonach ERT als Einheit nicht mehr existiere.

Die griechische Regierung hatte die Schließung am Dienstag überraschend noch für denselben Abend angekündigt. Sie begründete dies mit der schlechten Führung und den hohen Kosten der Anstalt. Allerdings solle sie in neuer Form und mit deutlich weniger Mitarbeitern bald wieder auf Sendung gehen. Die knapp 2700 Mitarbeiter erhielten eine Abfertigung und hätten zudem die Möglichkeit, sich beim neuen Sender um eine Stelle zu bewerben, sagte Regierungssprecher Kedikoglou. Geplant ist nach Angaben der Regierung, in den kommenden Monaten ein neues Konzept für einen kleineren staatlichen TV- und Hörfunk-Sender mit rund 1000 Mitarbeitern auszuarbeiten. Vorbild sollten moderne öffentlich-rechtliche Anstalten in Europa sein.

"Der ERT gehört der Bevölkerung"

Beschäftigte des Senders versammelten sich noch am Dienstag nach der Ankündigung in großer Zahl vor der Zentrale in Athen. "Das ist ein totaler Schock", sagte ein ERT-Redakteur. Die Mitarbeiter kündigten an, gegen die Entscheidung zu kämpfen und riefen andere Medien dazu auf, ihre Arbeit aus Protest ebenfalls einzustellen. Mittwochfrüh traten tatsächlich alle griechischen Journalisten in den Streik. "Wir werden solange streiken, bis die Regierung ihren Beschluss zurücknimmt", sagte der Präsident des Verbandes der Athener Zeitungsredakteure (ESIEA), Dimitris Trimis. "Die Regierung will die öffentlich-rechtlichen Sender opfern, um die Gläubiger zufriedenzustellen", hieß es in einer Erklärung der Journalisten-Gewerkschaft Poesy.

Indes haben mehrere griechische Gewerkschaften für Donnerstag einen 24-stündigen Streik ausgerufen, um gegen die Schließung des staatlichen Rundfunks zu protestieren. Die Gewerkschaft GSEE, die Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft vertritt, erklärte: "Der ERT gehört der griechischen Bevölkerung, er ist das einzige unabhängige Medium und muss öffentlich bleiben." Private Sender unterbrachen ihr reguläres Programm und sendeten als Zeichen der Solidarität sechs Stunden lang Wiederholungen und Werbung. "Wir wollen unsere Solidarität mit den Mitarbeitern des staatlichen Rundfunks zeigen und gegen die inakzeptablen Reformen im öffentlichen Sektor protestieren, die von den Gläubigern gefordert wurden", sagte auch Ilias Iliopoulos, Generalsekretär der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ADEDY.

"Herzstück demokratischer Gesellschaften"

Die Solidaritätskundgebung wurde unter anderem vom Auslandssender ERT World übertragen, der als letzter Sender um 23.44 Uhr MESZ sein Programm einstellen musste. Viele Prominente aus Wissenschaft und Kultur äußerten sich in dem Sender empört und fassungslos über die Auflösung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ein Schauspieler, der um Worte rang, sagte, so etwas hätten nicht einmal die Nazis getan, nachdem sie 1941 Griechenland besetzt hätten.

Die Europäische Rundfunkunion (EBU) forderte die griechische Regierung auf, ihren Beschluss wieder rückgängig zu machen. Samaras solle seine Macht nutzen, um "unverzüglich diese Entscheidung zu annulieren", forderten EBU-Präsident Jean-Paul Philippot und Generaldirektorin Ingrid Deltenre in einem Brief. Zwar gebe es Sparzwänge, doch seien öffentlich-rechtliche Medien und ihre Unabhängigkeit von der Regierung ein "Herzstück demokratischer Gesellschaften".

Troika forderte Verschlankung

Der ERT gehört zu einer Reihe von Staatseinrichtungen, die gemäß dem Abkommen mit der Gläubiger-Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) verschlankt werden müssen. Die Troika-Missionsleiter kontrollieren gerade die Umsetzung der bisherigen Auflagen, damit in den kommenden Wochen eine weitere Zahlung von 3,3 Milliarden Euro für das überschuldete Land freigegeben werden kann.

"In einer Zeit, in der das griechische Volk Opfer bringen muss, gibt es keinen Platz für Aufschub, Zögern oder heilige Kühe", sagte der Regierungssprecher. Ein Sprecher der Journalisten-Gewerkschaft dagegen erklärte, der Journalismus selbst werde verfolgt. "Wir werden nicht zulassen, dass die Stimme Griechenlands zum Schweigen gebracht wird."

Rundfunk setzt Programm auf anderen Kanälen fort

Trotz seiner offiziellen Einstellung durch die Regierung hat der staatliche griechische Rundfunk am Mittwoch übrigens seine Sendungen auf anderen Kanälen fortgesetzt. In der Redaktionszentrale im Athener Vorort Aghia Paraskevi versuchten die Journalisten, den Betrieb aufrecht zu halten. Die Mitarbeiter des Fernsehsenders nutzten das Internet und den Privatkanal 902 der Kommunistischen Partei zur Übertragung einer Diskussion über das Aus für den Sender.

(APA/dpa/AFP)

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