Die Vorgänge um die überfallsartige Schließung des staatlichen TV-Senders signalisieren, dass Griechenland mit seinen Reformen nicht weiterkommt.
Dass die überfallsartige Schließung des staatlichen griechischen Radio- und TV-Senders ERT nicht nur in Athen und Umgebung für tsunamiartige Empörungswellen sorgt, ist kein Wunder: Massenmedien auf diese Weise abzudrehen ist demokratiepolitisch ein absolutes No-go und eines entwickelten europäischen Staatswesens eigentlich unwürdig.
Aus der Sicht der Regierung in Athen und der EU/EZB/IWF-Troika, der diese Regierung mit dem spektakulären Schritt offenbar Handlungsfähigkeit demonstrieren will, ist das freilich nicht so unlogisch. Der Sender soll ja nicht dauerhaft geschlossen, sondern „abgeschlankt“ neu gegründet werden.
Athen signalisiert damit, dass es mit der versprochenen Reform der völlig aufgeblähten (und deshalb viel zu teuren) Staatswirtschaft samt der ebenso überdimensionierten öffentlichen Verwaltung auf „konventionellem“ Weg nicht mehr weiterkommt. Die in solchen Fällen übliche Methode (Abgänge nicht nachbesetzen bzw. Kündigungen) ist entweder zu langwierig – oder politisch nicht durchsetzbar. Da bietet sich der Radikalschnitt samt Neugründung irgendwie an.
Dass die Regierung für die Statuierung dieses Exempels ausgerechnet die staatliche TV-Gesellschaft gewählt hat, zeigt freilich ein Maß an Unsensibilität (man könnte auch sagen: politischer Dummheit), das für die nächsten Monate nichts Gutes verheißt. Dabei steuern wir gerade, was durch den Wirbel um die ERT-Schließung völlig verdeckt wird, auf einen neuen Höhepunkt in der Griechenland-Malaise zu: Das Land braucht, das ist nicht erst seit den jüngsten gescheiterten Privatisierungen klar, noch in diesem Jahr einen weiteren Schuldenschnitt. Das letzte Mal waren private Gläubiger (überwiegend Banken) dran. Jetzt kommen die Euroländer direkt an die Reihe, denn Athen hat ja fast nur noch staatliche Gläubiger.
Zahltag ist nach den deutschen Wahlen, bis dahin wird die Sache noch verschleppt. Und zwar auf die teuerstmögliche Weise, wie an dieser Stelle schon vor einem halben Jahr zu lesen war: Die Euroländer zahlen sich seit einiger Zeit die Zinsen für ihre vergebenen Darlehen sozusagen selbst, indem die regelmäßigen Hilfszahlungen umgehend als Zinsen wieder zurückfließen.
Die Griechenland-Hilfe ist also keine solche: Bis zum ersten Schuldenschnitt wurden überwiegend die Bilanzen europäischer Banken gerettet. Jetzt ist die Griechenland-Hilfe in Wahrheit ein Kreislauf zur Verschleierung der kommenden Budgetbelastung der Euroländer. Nur Griechenland selbst hat von der Griechenland-Hilfe so gut wie nichts.
Das ist wirtschaftlich gesehen Schwachsinn in Reinkultur. Man könnte es auch Konkursverschleppung nennen. Wahltaktisch ergibt es für die „Retter“ aber Sinn. Nur: Das Griechenland-Problem wird die Eurozone auf diese Weise bis St. Nimmerlein nicht los.
Eigentlich müsste ja allen klar sein, dass es nur zwei Optionen gibt: Entweder Griechenland verlässt den Euro und schlittert in den Staatsbankrott. Dann können sich die Eurostaaten ihre Forderungen gegen das Land sonstwohin stecken. Oder es gibt noch einen drastischen Schuldenschnitt, der Griechenland vom nicht schulterbaren Schuldenrucksack befreit und einen Neustart ermöglicht. Dieser müsste natürlich von Strukturreformen begleitet sein, die ein bisschen intelligenter angelegt sind als die ERT-Schließung. Aber auch dann ist das Geld weitgehend weg.
Dass sich die Euroländer für einen dritten Weg entschieden haben, nämlich die Griechenland-Malaise mit immer höheren Geldbeträgen ungelöst zuzuschütten, um dem eigenen Wahlvolk möglichst lange das wahre Ausmaß der Tragödie verschweigen zu können, ist der eigentliche Skandal.
Es zeigt, dass wir auch in der Troika und in den Euro-Staatskanzleien ziemlich viele „Griechen“ sitzen haben. Denn die Methode, Probleme lange zu ignorieren und dann, wenn es gar nicht mehr anders geht, wild um sich zu schlagen – wie es die griechische Regierung bei ihrem Staatssender gemacht hat –, zieht sich durchaus durch die gesamte Geschichte der Eurokrise. Weshalb man eines ziemlich sicher sagen kann: Sie wird uns noch lange erhalten bleiben.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2013)