Sendeschluss in Athen: Unwilliger Skandalfunk oder Einsparungsopfer?

Sendeschluss Athen
Sendeschluss Athen(c) EPA (SIMELA PANTZARTZI)
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Griechenland schließt den staatlichen Rundfunk. Gewerkschaften kündigten Proteste an, die Koalition ist zerstritten. Kritiker geben der Troika Schuld.

Athen. Dienstags um 23.12 Uhr griechischer Zeit machte die Regierung Ernst: In der Nachrichtensendung, die im staatlichen Fernsehen lief, war man sich gerade einig, dass die öffentlichen Sender weiter senden müssten - da fror das Bild ein, und es wurde schwarz. Das Funksignal war gekappt worden.

Fünf Stunden zuvor hatte Regierungssprecher Simos Kedikoglou, der auch für den öffentlichen Rundfunk (ERT) zuständig ist, angekündigt, dass ERT schließen und die 2600 Angestellten entlassen würden. Die Zahlung der Rundfunkgebühren durch die Konsumenten wird bis zur Geburt eines neuen öffentlichen Senders Anfang September ausgesetzt. Mehr als ein Jahr habe er versucht das „Skandal"-Unternehmen zu reformieren, sagte Kedikoglu. Gelungen sei gar nichts. Deswegen wählte man nun die radikale Lösung: den Neuanfang mit völlig anderen Strukturen.

1200 neue Angestellte

Umgehend wird ein entsprechendes Gesetz zur Einrichtung eines neuen öffentlichen Rundfunks, der nicht mehr „parteipolitisch" dominiert sein soll, im Parlament eingebracht. Ein siebenköpfiger Aufsichtsrat, dem keine Politiker und Beamten mehr angehören dürfen, soll nach dem Gesetzesentwurf die neue Struktur entwerfen, und nur etwa 1000 bis 1200 neue Angestellte mit neuen Verträgen anheuern. Kosten soll der geplante Rundfunk um 100 Millionen Euro im Jahr weniger als der ERT, der über ein Budget von 300 Millionen Euro pro Jahr verfügt.
Erst am Wochenende ist auf Ministerratsbeschluss eine Verordnung mit Gesetzescharakter veröffentlicht worden, die die Auflösung von Staatsbetrieben per Ministererlass zulässt. Dies geschah mit der Einstellung von ERT nun nur wenige Tage später. Deshalb sprach denn auch Oppositionschef Alexis Tsipras, der Chef der radikalen Linken, von einem „Putsch".

Antrag auf Rücknahme der Schließung

Aber auch in der Regierungskoalition aus Konservativen, Sozialisten und gemäßigten Linken (Dimar) stehen die Zeichen auf Sturm. Sozialisten und Dimar sind gegen das harsche Vorgehen und wollen einen Gesetzesantrag auf Rücknahme der Schließung einbringen. Ohne sie hat die konservative Nea Dimokratia (ND) von Antonis Samaras keine Mehrheit im Parlament. Doch die Konservativen kontern: Im Notfall werde man die Vertrauensfrage stellen, drohen sie.

Auch die Gewerkschaften haben umgehend für Donnerstag einen Generalstreik angekündigt. Schon gestern, Dienstag, hatten die privaten TV-Sender aus Protest die Arbeit niedergelegt. Die Angestellten von ERT halten Protestkundgebungen ab, einige Programme werden über Web-TV weitergeführt. „Wir werden solange streiken, bis die Regierung ihren Beschluss zurücknimmt", sagte der Präsident des Verbandes der Athener Zeitungsredakteure, Dimitris Trimis.

Die griechischen Medien sind von der Wirtschaftskrise stark betroffen. Die Werbeeinnahmen gingen zurück, Entlassungen sind an der Tagesordnung. Ein großer TV-Sender und mehrere Printmedien mussten bereits schließen. Die Schulden der großen Medienkonzerne sind gigantisch. Unter diesen Umständen könnte sich das Mitleid für die staatlichen, als privilegiert geltenden Kollegen in Grenzen halten.

Kritiker der radikalen Entscheidung sagen, dass ERT in letzter Zeit ohnehin stark geschrumpft sei und Gehälter gekürzt wurden. Sie verweisen als Ursprung der Entscheidung auf die Vorgaben der Gläubiger-Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank, und Internationalem Währungsfonds hin: Man habe sich zur Entlassung von Tausenden von Staatsangestellten im Jahr 2013 verpflichtet, das hätte man nun mit einem Schlag erreicht. Nicht von ungefähr beruft sich die Verordnung vom Wochenende explizit auf das mit der Troika vereinbarte Reformprogramm.

Kommission weist Vorwürfe zurück

Auch der Vorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda, sieht die Geldgeber-Troika und damit die EU in der Pflicht: „Was hat das mit Demokratie zu tun, wenn mehr oder weniger Leute das Gefühl haben, da kommen welche aus Brüssel und sperren uns das Radio und das Fernsehen zu?", fragte er bei einer Sitzung in Straßburg, an der auch Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Währungskommissar Olli Rehn teilnahmen. Die EU-Kommission wies jedoch jegliche Verantwortung von sich. Die Entscheidung der Regierung sei „in voller Autonomie" erfolgt, hieß es in einer Stellungnahme.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2013)

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