Der Wilhelminenberg-Bericht ist vernichtend. Das macht ihn glaubwürdig – und verpflichtet zum Handeln.
Beim Thema Gewalt gegen Kinder verschwimmen Realität und Fiktion. Meist werden Taten erst bekannt, wenn Opfer den Mut finden, darüber zu reden. Doch wie klärt man Verbrechen viele Jahre später auf? Und wie geht man dabei mit dem Problem um, dass selbst verschonte Kinder durch das bloße Wissen über die Vorgänge im Nachbarzimmer irgendwann daran glauben könnten, selbst misshandelt worden zu sein?
Jugendstadtrat Christian Oxonitsch und die Kommission zur Untersuchung der Vorfälle im Heim Wilhelminenberg fanden einen Weg. Erstens mit einem Bekenntnis zur politischen Mitverantwortung von Fehlern, zweitens mit der transparenten Aufarbeitung. Das Beschreiben von Schlägen, Vergewaltigungen und Folter, das Aufklären wilder Gerüchte um geheimbündlerisch betriebene Kinderprostitution legt nahe, dass das 344 Seiten starke Dokument finsterer Wiener Zeitgeschichte nichts beschönigt, nichts vertuscht.
Nun gilt es, daraus Schlüsse zu ziehen. Denn genau genommen war Wien schon einmal so weit, als die ehemalige Nationalratsabgeordnete Irmtraut Karlsson 1974 feststellte, dass viele Heime der Hauptstadt Kindergefängnissen glichen. Heime gibt es nicht mehr, Kinder in der Obhut der Stadt sehr wohl. Der aktuelle Bericht verpflichtet dazu, alles zu tun, dass Ähnliches nicht mehr passiert.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2013)