Seit März haben sich Berichte über Angriffe unter anderem mit Nervengift gehäuft. Das Weiße Haus gibt sich nun überzeugt davon.
Wien/Washington/Hd. Sarin also. Das ist eine der wenigen konkreten Angaben, die sich in dem ausführlichen Statement des Weißen Hauses finden, in dem die USA dem syrischen Regime am Donnerstag den Einsatz von Chemiewaffen vorwarfen.
Sarin ist ein Nervengas und einer der gängigsten chemischen Kampfstoffe. Und westliche Gemeindienste glauben zu wissen, dass Syrien ihn besitzt. „Unsere Geheimdienste haben die Einschätzung, dass das Assad-Regime im vergangenen Jahr mehrfach in geringem Umfang Chemiewaffen, unter anderem Sarin, gegen die Opposition eingesetzt hat“, heißt es aus dem Weißen Haus. Die Zahl der Todesopfer durch diese Angriffe wird mit bis zu 150 beziffert, die Zahl könne aber auch höher sein. Es gebe geheimdienstliche Erkenntnissen über konkrete Angriffe, zudem seien Menschen, die den Kampfstoffen ausgesetzt gewesen seien, Proben entnommen worden.
Etwas konkreter äußert sich eine anonyme Quelle aus der Regierung gegenüber der „New York Times“: Man habe Blut-, Urin-, und Haarproben von einem überlebenden und einem getöteten Rebellen genommen. Die Tests hätten eine Vergiftung mit Sarin ergeben, der Vorfall habe sich im März nordöstlich von Damaskus zugetragen.
Schätzung: 1000 Tonnen C-Kampfstoffe
Vergangenen September hat das Regime erstmals zugegeben, was in der internationalen Geheimdienst-Community seit Langem als sicher galt: dass es tatsächlich Chemiewaffen besitzt. Doch wie viel? William Ewald, pensionierter Spezialist der US-Army auf dem Gebiet, schrieb in einem Artikel 2012 von etwa 1000 Tonnen, die an etwa 50 Orten gelagert seien. Das Gefährliche am syrischen Arsenal sei seine sofortige Einsatzbereitschaft. Die Armee verfügt über Bomben, Artilleriegranaten und Raketen, die sich mit Chemikalien befüllen lassen. Es wird vermutet, dass Syrien bereits in den 1970er-Jahren begann, C-Waffen zu bunkern. Die ersten Ladungen Senfgas soll das Regime noch von Ägypten erhalten haben, in den 80er-Jahren stellte es Senfgas und Sarin vermutlich bereits selbst her.
Wechselseitige Anschuldigungen
Immer wieder beschuldigten sich Regime und Rebellen gegenseitig, C-Waffen eingesetzt zu haben, in den vergangenen Monaten nahmen die Vorwürfe zu. Im April etwa tauchte ein Video auf, das Menschen zeigte, denen Schaum aus dem Mund kam und die von Zuckungen geplagt wurden, was auf Nervengas hindeuten kann. Laut einem Reporter der „Times“, der den Ort besuchte, hätten die Opfer rasch auf das Gegenmittel Atropin reagiert. Relativ konkret ist das Bild, das die BBC über einen Angriff von Regierungstruppen auf die Stadt Saraqeb Ende April zeichnet: Helikopter sollen dort zwei Behälter abgeworfen haben, die chemische Kampfstoffe enthielten. Ein Mann, dessen Mutter angeblich an den Vergiftungen starb, berichtete: „Es war ein schrecklicher Gestank, der einem den Atem raubte. Man verlor alle Sinne, ich konnte drei oder vier Tage lang nichts mehr sehen.“
Ebenfalls in der BBC mahnt der Experte Ralf Trapp allerdings generell zur Vorsicht, nicht nur bei aufgezeichneten Zeugenaussagen, Videos und Fotos, sondern auch bei Gewebe- oder Bodenproben: Es müsse unbedingt die Authentizität der Proben sichergestellt sein – und eine geschlossene Bewachungskette: „Gerade deshalb ist es so wichtig, ein Untersuchungsteam der UNO in Syrien vor Ort zu haben und zu gewährleisten, dass es eine unabhängige, professionelle Untersuchung durchführen kann.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2013)