Zu wenig, zu spät: „Hamlet“ Obama agiert planlos in Syrien

Auch mit der Lieferung von Kleinwaffen an die Rebellen werden die USA das Gleichgewicht in Syrien nicht kippen können. Der Westen hat zu lange zugeschaut.

Zwei Jahre hat Barack Obama überlegt, gezögert und zugeschaut. Jetzt hat der US-Präsident doch grünes Licht für direkte Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen gegeben. Doch auch diese Entscheidung wird keine Wende im syrischen Bürgerkrieg herbeiführen. Denn laut „New York Times“ wollen die Amerikaner die Opposition lediglich mit Kleinwaffen und Munition versorgen. Um die Armee von Präsident Bashar al-Assad in die Defensive zu drängen, brauchten die Rebellen jedoch nach Einschätzung von Militärexperten schwereres Kriegsgerät. Boden-Luft-Raketen aber wollen die USA nicht zur Verfügung stellen. Zu groß ist die Angst, dass solche Waffen in den Händen radikaler Gruppen landen und sich nach afghanischem Vorbild irgendwann gegen den Absender richten.

Für das syrische Dilemma gibt es keine Zauberformel. Obama aber hat gar keinen Plan. Sein Kompass war von Beginn an innenpolitisch genordet. Nach den verunglückten Interventionen in Afghanistan und im Irak war es Obamas oberste Maxime, sich in keinen neuen Krieg hineinziehen zu lassen. Das war verständlich nach dem desaströsen Aktivismus von George W. Bush. Doch es hat auch einen Preis, nichts zu tun.

Obama wollte vom Rücksitz aus führen. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass gar niemand am Steuer sitzt. Syriens Diktator und seine Verbündeten im Iran haben die Führungsschwäche des amerikanischen Hamlet ausgenützt. Während Obama zauderte, drängten sie die syrischen Rebellen zurück. Vor einem Jahr, als die Kämpfe die Hauptstadt Damaskus erreicht hatten, schien Assad verloren, mittlerweile kippte das Gleichgewicht zu seinen Gunsten. Vor zwei Wochen eroberten Assads Truppen mithilfe der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah die wichtige Stadt Qusair. Damit war eine Nachschublinie der Rebellen in den Libanon gekappt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schrillten in Washington, London und Paris die Alarmglocken.

Obama hatte zuletzt versucht, Gespräche mit dem syrischen Zivilistenmörder zu forcieren. Doch mit einem Assad im Vormarsch wollte er dann doch nicht am Verhandlungstisch bei der von Russland eingefädelten Konferenz in Genf sitzen. Vor allem deshalb hat sich die US-Regierung nun zu Waffenlieferungen durchgerungen, nicht nur, weil Syriens Armee angeblich chemische Kampfstoffe eingesetzt hat. Bei diesem Schwenk zeigt sich in voller Pracht, wie wenig durchdacht Obamas Syrien-Politik ist. Zielführender wäre es gewesen, Assad erst in die Defensive zu drängen und dann zu reden – nicht umgekehrt. In Washington hat man etwas spät realisiert, dass es dann doch nicht so wünschenswert wäre, wenn der Iran in der Region die Oberhand behielte. Denn vor allem darum geht es in dem blutigen Spiel, in das auch sunnitische Mächte wie die Türkei, Saudiarabien und Katar involviert sind.


Natürlich muss man sich fragen, welche Kräfte nach einem Sturz Assads die Macht an sich rissen. Und da kann einem bei einem Blick auf extremistische Gruppen in Syriens Opposition das Gruseln kommen. Doch die USA, ganz zu schweigen von den Europäern, haben mit ihrer Untätigkeit genau zu dieser Radikalisierung beigetragen. Es war vorhersehbar, wo die Waffen landen, wenn man deren Verteilung der Fundamentalistenmonarchie Saudiarabien und Katar überlässt.

Die USA haben von Anfang an die Kontrolle abgegeben. Kann man jetzt noch etwas tun? Vor einem Jahr wäre es vielleicht noch sinnvoll gewesen, zu intervenieren und zumindest Flugverbotszonen zu errichten. Inzwischen ist es vermutlich zu spät. Der syrische Sumpf ist zu tief geworden, die Opposition zu zersplittert, der als Folge eines Eingreifens an die Wand gemalte sunnitisch-schiitische Rachekrieg läuft auf Hochtouren, und die Christen stecken mittendrin. Fast 100.000 Menschen sind bereits getötet worden. Es geht nur noch darum, das militärische Gleichgewicht so zu verändern, dass Assad bei Verhandlungen Zugeständnisse abgerungen werden können. Anders als durch Gespräche mit dem Ancien Régime wird sich der Konflikt kaum lösen lassen. Doch auch das ist ungewiss und dauert möglicherweise noch unerträglich lang. Es gibt kein Happy End für Syrien.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2013)

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