Till Firit begeistert als liebenswerter Sonderling

VOLKSTHEATER WIEN: 'MEIN FREUND HARVEY'
VOLKSTHEATER WIEN: 'MEIN FREUND HARVEY'APA/LALO JODLBAUER
  • Drucken

Das Volkstheater zeigt "Mein Freund Harvey" von Mary Chase in einer eigenwilligen Inszenierung von Katrin Hiller: Der charmante Antiheld Dowd ist hier bloß ein Alkoholiker.

Saisonschluss: Noch schnell eine Premiere und dann ab in den Sommer. Das riecht nach liebloser Pflichtübung. Aber es kommt anders. Im Volkstheater ist seit Freitag „Mein Freund Harvey“ von Mary Chase zu sehen, berühmt durch den Film mit James Stewart von 1950. Der schrullige Elwood P. Dowd, dessen bester Freund ein weißer Riesenhase ist, prägte Stewarts Image. Mit seinem gläubig-sanftmütigen Blick zeichnete der Weltstar hier ein Gegenbild zu den Revolver- und Westernhelden seiner Zeit, zu den skrupellosen Liebhabern mit dem schmachtenden Blick. Heute ist Henry Kosters Film ein Beleg dafür, dass Hollywood „Feel Good“ und „Glück für die ganze Familie“ schon lange vor der Erfindung dieser Begriffe kannte. „Mein Freund Harvey“ feiert aber auch das Individuum, das gemocht wird, auch wenn es sich nicht anpasst – und nebenbei natürlich spendete die Story Trost für die Nachkriegsgeneration.


Klipp, klapp und Heiterkeit. Im Volkstheater werden allerhand Kunststücke geboten: Klipp, klapp macht das Bühnenbild, Dekor poppt aus dem Boden. Klipp, klapp machen auch die Türen, wenn Akteure flüchten oder der unsichtbare Hase die Begleitung wechselt. Katrin Hiller, die an der Folkwang-Hochschule in Essen studierte und am Volkstheater eine Reihe von Inszenierungen gemacht hat, zuletzt „Unter der Treppe“, führte Regie.

Sie treibt der Geschichte die Transzendenz weitgehend aus: Der Antiheld Elwood hat einen Puka. Das ist kein Vogel, sondern ein irischer Geist, der seine Gestalt wechselt und allerhand Schabernack treibt. Lob für das großartige Programmheft! Elwood hat den Puka möglicherweise deswegen, weil er trinkt, jedenfalls redet er die ganze Zeit von Drinks, wirkt angeheitert und schwankt herum. Das ist ein grobes Missverständnis, aber Till Firit ist derart großartig, dass die Fehlinterpretation leicht verziehen ist. Rein äußerlich hat der schlaksige, leichtfüßige Firit mit dem gewichtig wirkenden James Stewart wenig gemein. Firit ist ein echter Widerpart, er versieht Elwood mit tänzelnder Eleganz und der Grandezza eines Sohnes aus gutem Hause. Die anderen Figuren sind kaum weniger verrückt als der Protagonist: Inge Maux spielt Elwoods Schwester Veta, die vor Ärger über ihren Bruder schon selbst Hasen sieht, Matthias Mamedof, Ronald Kuste geben die vom Irrsinn ihrer Patienten leicht infizierten Psychiater.


Gut geführtes Ensemble. Johanna Mertinz möchte sich als Psychiaterfrau nur zu gern in den Wahnsinn stürzen, um ihrem egozentrischen Ehemann, dem Klinikchef, zu entfliehen. Nur Vetas Tochter Myrtle (Claudia Sabitzer) behält kühlen Kopf, sie will endlich anfangen zu leben und fängt den vierschrötigen Pfleger im Sanatorium, Marvin (Christoph F. Krutzler) ein. Andrea Bröderbauer ist als blonde Oberschwester Ruth eine wahre Augenweide – und Thomas Bauer sorgt als Taxifahrer, der wirkt wie ein Bote aus einer anderen Welt, am Schluss für eine letzte, überraschende Volte...

Wer ist Harvey? Ein Symbol für die innere Stimme, eine Phantasmagorie, die aus verdrängter Sexualität (hetero oder homo) resultiert, der Wunschpartner, der geheime Freund, eine Projektion, das Alter Ego, der Schatten? Die vielschichtige Idee der US-Autorin und Journalistin Mary Chase (1907–1981), die irische Wurzeln hat, irische Mythologie in ihr Stück einfließen ließ, hat Hiller mit ihrer Inszenierung zwar plattgemacht.

Dafür erfreut sie mit unvorhergesehenen Wendungen und originellen Einfällen, die an angelsächsische Kurzgeschichten erinnern. Nach einer etwas mühsamen ersten halben Stunde, in der sich mancher fragen mag, was diese museale Veranstaltung aus den 1950er-Jahren soll, wird die Aufführung stetig erfrischender, erheiternder. Alles in allem: ein entspannender Abend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.