Klimaflüchtlinge

Wenn Zahlen von Klimaflüchtlingen genannt werden, ist Vorsicht geboten, meinen zwei Geografen: Der Begriff sei recht unbestimmt und die Messung beinahe unmöglich.

Dass das Klima eine wichtige Rahmenbedingung für das Leben der Menschen ist, ist unbestritten. Ebenso, dass ein sich wandelndes Klima zu Veränderungen der Lebensumstände führt. Wenn aber jemand davor warnt, dass es daher Scharen von „Klimaflüchtlingen“ gebe, dann ist Vorsicht geboten – wie die Geografen Carsten Felgentreff (Uni Osnabrück) und Philipp Aufenvenne (Uni Klagenfurt) nahelegen. „Es ist nicht nur schwer zu sagen, ob Umwelt und Klima für Migration verantwortlich sind, sondern auch eine Bezifferung ist nahezu unmöglich“, betonten sie diese Woche bei einer Veranstaltung in Klagenfurt. Daran ändert auch nichts, dass immer wieder exakte Zahlen genannt werden. UNHCR sprach im Jahr 2002 von 24 Mio. „Umweltflüchtlingen“, Greenpeace 2007 von aktuell 20 Mio. „Umweltflüchtlingen“ und 150 bis 200 Mio. „Klimaflüchtlingen“ in den nächsten 30 Jahren.

Diese Zahlen führen in die Irre, meinen die beiden Geografen. Denn zum einen seien die Begriffe „Umweltflüchtling“ oder „Klimaflüchtling“ sehr unscharf definiert – kaum zwei Schätzungen verwenden die gleiche Definition. Zum anderen könnten menschliche Migrationsbewegungen nur in den wenigsten Fällen monokausal erklärt werden – neben Veränderungen der physisch-materiellen Außenwelt müssten stets auch soziale, politische, ökonomische oder demografische Faktoren berücksichtigt werden. Und außerdem: Wie die Geschichte lehrt, ist der Mensch sehr anpassungsfähig. In der wissenschaftlichen Debatte ist solche Kritik gang und gebe, dort wird nur selten von „Klimaflüchtlingen“ geredet. Außerhalb der Wissenschaft hat der Begriff aber Hochkonjunktur. Felgentreff umschreibt diese Diskrepanz so: Die Debatte sei „untertheoretisiert und zugleich überpolitisiert“.

Vereinfachende Kausalmodelle seien nicht nur eingängig, sondern könnten auch Aufmerksamkeit und politischen Handlungsdruck erzeugen. Die politische Wirkung – die von manchen Klimaforschern und allen NGOs erwünscht und von vielen Medien bereitwillig aufgegriffen wird – kann in mehrere Richtungen gehen: So können mit der Betonung des menschlichen Leides schärfere Klimaschutzmaßnahmen argumentiert werden. Es wird aber auch eine Verknüpfung der Themen Klima und Sicherheit hergestellt – frei nach dem Motto: In Afrika müssen Menschen fliehen – und wo sollen sie sonst hinziehen, wenn nicht zu uns? Oder wie es die beiden Geografen formulieren: Mehr noch als Klimakurven, statistische Darstellungen, Fotos von schmelzenden Gletschern und einsamen Eisbären sei die Figur des Klimaflüchtlings geeignet, dem Thema Evidenz und Dringlichkeit zu verleihen.

martin.kugler@diepresse.com diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2013)

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