Handball: Der ersehnte Wurf ins Rampenlicht

ÖHB-Flügelspieler Robert Weber ließ sich von Russlands Abwehrriesen nicht aufhalten.
ÖHB-Flügelspieler Robert Weber ließ sich von Russlands Abwehrriesen nicht aufhalten.(c) EPA (ROBERT PARIGGER)
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Österreichs erstmalige EM-Qualifikation kann die Türen zu WM und Olympia öffnen. Deutschland-Legionäre sind der Erfolgsgarant des ÖHB – aber Deutschland verpasst die EM.

Wien. Mit der Tatsache, Historisches geschafft zu haben, kann Handball-Generalsekretär Martin Hausleitner gut leben. Die erstmalige EM-Qualifikation auf sportlichem Wege habe sehr, in Wahrheit viel zu lange gedauert. Dennoch, die am Sonntag mit dem 30:25 gegen Russland abgeschlossene Qualifikation des Herren-Nationalteams hat bei ihm Spuren hinterlassen. Die negativen Erinnerungen mit knapp verpassten Chancen und der steten Angst vor dem erneuten Scheitern wurden bei einer Siegesfeier bis in die Morgenstunden in Innsbruck hinuntergespült. Die Spieler, sagt Hausleitner, „haben Großartiges geschafft. Wir haben das erste Ziel einer langen Reise erreicht. Ein Meilenstein, auf dem wir sofort aufbauen müssen.“

Die Tatsache, dass sich Österreich auf die EM 2014 in Dänemark und die am Freitag in Herning stattfindende Auslosung freuen kann, ist durch viele Faktoren ermöglicht worden. Mit der Heim-EM 2010 mit Platz neun und der WM 2011 (Platz 18) ist ein Ruck durch Österreichs Handball gegangen. Mittlerweile verdienen neun Österreicher ihr Geld in der Handball-Hochburg Deutschland. Sie sind Stammspieler in der höchsten Liga und auf allen Positionen (Aufbau, Kreis, Flügel, Rückraum, Tor) zu finden. Höheres Niveau führt zu besserer Übersicht, Routine. Von den sich für Teamchef Patrekur Johannesson öffnenden taktischen Varianten seines dichten Teamkaders ganz zu schweigen.

Deutschland scheitert, zweifelt

Der Wert dieses Erfolges wird durch das Scheitern der Handball-Großmacht Deutschland noch begreifbarer. Erstmals seit der WM 1997 fehlt Deutschland bei einem Turnier. Der Weltmeister von 2007 stellt die beste Liga der Welt, die vergangene Saison 1.384.559 Millionen Zuschauer verbuchte und aktuelle Europacup-Sieger wie HSV (Champions League), Rhein-Neckar und Flensburg (EHF-Cup) als Aushängeschilder führt. Erstmals fehlt Deutschland überhaupt bei einer EM. Es ist so, als würde sich Brasilien nicht für eine Fußball-WM qualifizieren.

Naturgemäß rätselt der Nachbar über die Ursachen. Erklärungen sind nun zuhauf in Medien zu lesen, die auch in Österreich in Zeiten des Misserfolges Hochkonjunktur hatten. Keine Spielertypen, Absagen, schlechter Torhüter, Verletzungen sowie verwöhnte Lustlosigkeit, die bis in den Nachwuchs ufert und nach rettenden Schulprogrammen schreit. Auch die Legionärsflut wird nach Platz drei, einer bitteren Niederlage gegen Montenegro und dem Qualifikationsschock angeprangert.

Österreich lernte seine Lektionen

Der Ansatz, dass Handball in Österreich in Turnsälen stattfindet, wurde mit neuen Hallen in Vorarlberg oder der Hollgasse in Wien halbwegs korrigiert. Höhere Trainingsintensität und „Nachwuchs-Challenge“ halfen mit, das oft und zu Recht angeprangerte Niveau in der Handball Liga Austria zu heben. Immerhin wurden hier Talente wie Markus Kolar (Fivers) oder Raul Santos groß. Der 20-Jährige schaffte im Jänner den Sprung von Leoben zu Gummersbach in die deutsche Handballliga – und gegen Russland erzielte er am Sonntag als bester Werfer sechs Tore. Und: Die seit zehn Jahren geltende Legionärsbeschränkung, elf von 14 Spielern müssen im Team spielen können, erfüllte definitiv ihren Sinn.

Österreichs Handball, sagt Hausleitner, habe „seine Lektionen gelernt“ und darauf reagiert. Mit Auslandsengagements, Jugendprogrammen und dem Einsatz von Profi-Teamchefs wuchs das Selbstvertrauen. Siege gegen Serbien, Russland, Bosnien oder Deutschland sind nun immer möglich. Früher, vor fünf bis zehn Jahren, war es absolut undenkbar, sagt Hausleitner. „Wir sind nun bereit.“

Dieses Wissen „predigt“ auch der Isländer Johannesson. Sich in Understatement zu üben oder vor großen Namen zu fürchten sei ihm fremd. „Ich fahre auch sicher nicht als Tourist zur EM“, sagt der 40-Jährige provokant und demonstriert, dass er sich über die politische Wahrnehmung österreichischer Sportler bei Großereignissen sehr wohl informiert hat.

Mit seiner direkten Art trifft er die Spieler am Nerv. Das müsse er auch, sagt Hausleitner, denn mit der EM beginne doch die Reise erst. „Wir wollen unbedingt in die K.-o.-Runde. Damit würden wir uns ein gutes Los im Play-off zur WM 2015 in Katar sichern. Und spielen wir dort mit, wollen wir zu Olympia 2016 in Rio de Janeiro.“ Dieser Fahrplan ist nicht mehr illusorisch – und das sei in Wahrheit, sagt Hausleitner, wirklich historisch.

Auf einen Blick

Die ÖHB-Handballer qualifizierten sich erstmals für die EM-Endrunde. Im abschließenden Qualifikationsspiel wurde Russland mit 30:25 besiegt. Das Turnier findet vom 12. bis 26. Jänner 2014 in Dänemark statt. 2010 war Österreich als EM-Gastgeber fix qualifiziert.
Die EM-Auslosung findet am Freitag, 18.30 Uhr, in Herning statt. Österreich ist in Topf 4 gesetzt. Live:www.ehf-euro.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2013)

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