Nach zwölf Jahren Krieg wollen die USA erstmals direkt mit den Radikalislamisten über ein Ende der Kämpfe verhandeln. Afghanistans Regierung reagiert verärgert und brüskiert Washington.
Washington. Nach zwölf Jahren Krieg, mehr als 2200 gefallenen amerikanischen Soldaten und zehntausenden getöteten afghanischen Zivilisten reicht US-Präsident Barack Obama den fundamentalistischen Taliban-Milizen die Hand. „Die USA werden in den nächsten Tagen ein erstes Treffen mit den Taliban in Doha haben“, sagte ein hoher Mitarbeiter Obamas am Dienstag in einer Telekonferenz mit Journalisten. „Wir fordern die afghanische Regierung und die Taliban auf, rasch Verhandlungen zu beginnen.“
Bei Afghanistans Präsident Hamid Karzai löste diese Nachricht schwere Verärgerung aus: Seine Regierung verkündete am Mittwoch, die Gespräche mit den USA über deren militärische Präsenz nach dem Abzug der Kampftruppen 2014 bis auf weiteres auszusetzen. Nichtsdestoweniger hatte Karzai selbst sich am Dienstag für eigene Gespräche seiner Regierung mit den Taliban ausgesprochen.
Taliban lösen sich von al-Qaida
Die Taliban veröffentlichten am Dienstag eine Stellungnahme, in der sie sich zu den drei Bedingungen Washingtons bereit erklärten: Erstens wollen sie die Kampfhandlungen gegen die afghanischen Regierungstruppen und die Kräfte der von der Nato geführten Koalition beenden. Zweitens geloben sie, dafür zu sorgen, dass von Afghanistan aus keine internationalen Terroraktionen mehr lanciert werden. Konkret bedeutet das eine Lossagung der Taliban vom Terrornetzwerk al-Qaida. Drittens versprechen die Taliban, die demokratische afghanische Verfassung zu respektieren – einschließlich der Rechte, die dieser vom Westen durchgesetzte Text den Frauen verleiht, wie der US-Regierungsvertreter ausdrücklich betonte.
Durch diese direkten Gespräche zwischen den Amerikanern und den Taliban eröffnet sich erstmals seit Jahren die Aussicht auf ein Ende des Krieges in Afghanistan. Keine der beiden Seiten konnte ihn bisher eindeutig gewinnen, und wenn man die ursprünglichen Kriegsziele der Amerikaner als Maßstab nimmt, muss man festhalten, dass die USA gescheitert sind. Zwar ist die Fähigkeit von al-Qaida, von afghanischem Boden aus Anschläge im Westen zu orchestrieren, stark gesunken. Der Aufbau ziviler Strukturen, von Schulen, Krankenhäusern und sonstigen Einrichtungen gesellschaftlichen Vorankommens, scheitert aber in weiten Teilen des Landes an der faktischen Herrschaft der Taliban-Kämpfer.
Gegen die bärtigen Männer mit dem strengen sunnitischen Glauben und den Kalaschnikows um den Hals, die nach dem Abzug der sowjetischen Besatzer und dem darauffolgenden Bürgerkrieg im Herbst 1996 die Macht in Kabul übernommen haben, kann man in diesem Land keinen Frieden machen. Das haben alle Nachbarn Afghanistans schon vor Jahren genauso erkannt wie zahlreiche westliche Bündnispartner Washingtons.
Es begann 2010 in München
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2010 brach dank deutscher Vermittlung erstmals das Eis zwischen den erbitterten Feinden. Bernd Mützelburg, der Afghanistan-Sonderbeauftragte von Außenminister Guido Westerwelle, erzählte seinem amerikanischen Counterpart Richard Holbrooke damals im Vertrauen, dass er sich zweimal in Dubai mit Tayeb Agha getroffen habe. Agha ist ein Verwandter und Vertrauter des flüchtigen Taliban-Führers Mullah Omar. Agha wolle direkt mit Amerika sprechen, sagte Mützelburg. Holbrooke stimmte zu, weil er davon überzeugt war, dass eine militärische Lösung des Konflikts in Afghanistan ebenso unmöglich sei, wie das im Fall der Jugoslawien-Kriege war. Deren Ende auf der Konferenz in Dayton hatte Holbrooke tatkräftig unterstützt.
Die Taliban eröffneten daraufhin ein Büro in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar. Geheime Gespräche begannen, doch nach Holbrookes Tod im Dezember 2010 verlor die Initiative für eine diplomatische Lösung dieses Krieges ihren stärksten Fürsprecher.
Ob die Gespräche nun Erfolg verheißen, ist offen. „Das ist eine möglicherweise positive Entwicklung“, sagte der Obama-Berater am Dienstag. „Aber der Frieden ist noch nicht sicher.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2013)