„Diesen afghanischen Deal hätte Obama schon 2009 aushandeln können“

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bdquoDiesen afghanischen Deal haette(c) Kaveh Sardari/ Chunte 18
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Amerika ist am Hindukusch gescheitert, sagt der frühere Sonderberater des US-Außenministeriums, Vali Nasr.

Die Presse: Was haben zwölf Jahre Krieg in Afghanistan die USA bisher gekostet?

Vali Nasr: Diese Frage müssen die Buchhalter beantworten. Jedenfalls aber gibt es Opportunitätskosten: Wenn es die Lösung war, die afghanische Armee aufzubauen, um die Taliban zu bekämpfen: Warum haben wir das dann nicht vom ersten Tag an gemacht? Die Strategie der USA ist gescheitert. Wir haben seit 2009 unseren militärischen Einsatz erhöht, um die Taliban zu schlagen. Wir haben sie aber nicht geschlagen. Und es gibt nicht einmal ein Abkommen. Insofern ist Afghanistan eine vergebene Chance, für die wir bezahlen werden. Dieselben Gründe, die uns nach Afghanistan gebracht haben, können uns wieder dorthin bringen.

Haben diese Fehler im Weißen Haus auch damit zu tun, dass Obama als junger, außenpolitisch unerfahrener Demokrat besonders deutlich beweisen will, dass er sicherheitspolitisch ein Falke sein kann?

Definitiv. Er hat es auch verabsäumt, ein beeindruckendes außenpolitisches Team im Weißen Haus zusammenzustellen, das in den Augen der Welt glaubwürdig ist und gleichzeitig den Republikanern standhalten kann. Idealerweise hätte er einen mächtigen demokratischen Staatsmann als Nationalen Sicherheitsberater einsetzen sollen. Jemanden vom Schlag eines Brzezinski, Kissinger oder Scowcroft. Tat er aber nicht.

Sie beschreiben, dass Vizepräsident Biden der Kopf hinter dem heimlichen Drohnenkrieg gegen Taliban und Terroristen ist. Wie kam es dazu?

Er hat das in ein politisches Konzept gebracht. Die Maschinerie dazu allerdings hat die CIA und Obamas damaliger Anti-Terrorberater John Brennan (der jetzige CIA-Direktor, Anm.). Brennan sagte: Man kann mit Spezialkräften und Drohnen eine schlanke Struktur zum Fangen und Töten von Terroristen haben, und Amerika sollte das in Pakistan und Jemen ausbauen. Der Vizepräsident hat diese Entwicklungen im Weißen Haus zu einem strategischen Ausblick erhoben: Wir haben diese Instrumente zur Terrorbekämpfung, also brauchen wir keine weitere Truppenverstärkung. Machen wir das zu unserer Strategie für diese Region.

Gab es in Afghanistan einen Moment, in dem Sie wussten: Das geht unumkehrbar schief?

In dem Moment, in dem der Präsident im Sommer 2010 sagte, wir würden demnächst den Sieg erklären und 2014 abrücken. Das ist so weit von der Realität vor Ort abgewichen. Damit machten wir klar, dass wir akzeptierten, nichts erreicht zu haben: weder in Fragen der Frauenrechte noch der Demokratie oder im Kampf gegen die Taliban.

Ist es unvermeidbar, dass die Taliban die Macht in Kabul wieder übernehmen, sobald der letzte US-Soldat das Land verlassen hat?

Unvermeidbar nicht. Aber die Erwartung ist hoch, dass genau das passiert. Wenn es keinen politischen Deal gibt und keine amerikanischen Truppen und nur eine korrupte Regierung in Kabul, geben die Menschen in der Region Afghanistan keine große Chance, Erfolg zu haben. Das glauben nur die Leute hier in Washington. Und so beginnen die Menschen, sich gegen das System abzusichern. Die Hazaras und Tadschiken legen bereits eigene Waffenreservoirs an. Die Taliban haben immer weniger Anreiz für einen Deal. Was am ehesten für Afghanistan spricht, ist, dass Iran und Pakistan ein Interesse daran haben, die USA aus dem Land herauszuhalten und eine gewisse Ruhe im Land zu bewahren. Zumindest für eine Zeit.

Die Paradoxie liegt ja darin, dass der Iran das Land mit dem größten Interesse an Stabilität in Afghanistan ist. Wegen des riesigen Problems mit afghanischem Opium im eigenen Land und der Bedrohung der Schiiten durch die sunnitischen Taliban. 1997 war der Iran deshalb knapp davor, in Afghanistan einzumarschieren.

Ja, aber in der Vergangenheit waren die Iraner nicht fähig, mit Pakistan zusammenzuarbeiten. In den 1990er-Jahren war die Beziehung zwischen den Saudis und Pakistan zu eng dafür und die Saudis zu antiiranisch. Also schloss der Iran damals ein Bündnis mit Indien und Russland. Heute liegen die Dinge anders. In den 90ern war das Pentagon Pakistans bester Freund. Heute ist es sein größter Feind. Denn das Pentagon macht Pakistan für seine militärische Niederlage in Afghanistan verantwortlich. Pakistan könnte gegenüber dem Iran mit einer „Leben und leben lassen“-Einstellung zufrieden sein. Und so könnte Afghanistan künftig wie der Libanon aussehen. Mit den Taliban als Hisbollah und einer unwirksamen Regierung in Kabul. Was zumindest die Hülle aufrechterhält.

Das wäre nicht schön anzusehen. Es brächte aber zumindest ein Mindestmaß an Stabilität.

So ist es. Aber das hat nichts mit der Billion Dollar zu tun, die wir ausgegeben haben. Wir hätten diesen Deal zwischen dem Iran und Pakistan 2009 vermitteln können. Wenn Afghanistan funktioniert, dann dank der Feinde Iran und Pakistan. Nicht wegen uns.

Eine weitere ironische Konsequenz all dessen: China erntet, wie schon im Irak, die ökonomischen Früchte der US-Invasion. Die größte Kupfermine Afghanistans gehört den Chinesen.

Und nicht nur das: Die Chinesen wollen Amerika ebenfalls nicht in der Nähe ihrer Grenze. Und sie haben gute Beziehungen zu Iran und Pakistan.

Eines ist auffällig: Die USA hat in Afghanistan fast haargenau dieselben Fehler gemacht wie die Sowjets davor und die Briten im Anglo-Afghanischen Krieg 1839–1842. Wieso vergaloppieren sich imperiale Mächte immer wieder derart übel?

Die Geschichte ist wichtig. Sie ist Teil der Selbstwahrnehmung der Menschen in der Region. Und sie zeigt, wieso eine militärische Lösung für dieses Land von Anfang an ein Fehler war.

Zur Person

Vali Nasr ist Dekan der School of Advanced International Studies an der Johns Hopkins University in Washington; das ist eine der führenden intellektuellen Schmieden außenpolitischer Entscheidungsträger.

Von 2009 bis 2011 diente der 1960 in Teheran Geborene Richard Holbrooke, dem Sonderbeauftragten von US-Außenministerin Hillary Clinton für Afghanistan und Pakistan.

Seine Erfahrungen im Machtringen mit dem Weißen Haus um die richtige politische Linie am Hindukusch im Besonderen und im Nahen Osten im Allgemeinen hat Nasr in seinem neuen Buch „The Dispensable Nation. American Foreign Policy in Retreat“ (Doubleday, New York) zusammengefasst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2013)

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