Vor allem die kurdische und alevitische Gemeinde Wiens zeigen Verständnis für die Forderungen der Demonstranten in der Türkei.
Wien/Kb. Der Widerstand gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei hält nach wie vor an – wenngleich aus den Demonstrationen nach heftigen Zusammenstößen mit der Polizei mittlerweile ein zumeist stiller Protest geworden ist. Solidarität und Sympathie für die Aktivisten gibt es aus ganz Europa – auch aus Wien. Insbesondere die kurdische und alevitische Community stellten sich von Anfang an auf ihre Seite.
„Selbstverständlich unterstützen wir die Aktivisten und ihre Anliegen, die mit den Protesten von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen“, sagt Hüseyin Akmaz, Obmann von Feykom, dem Dachverband der kurdischen Vereine in Österreich. „Wir sind nur deswegen nicht für den Rücktritt Erdoğans, weil es zu seiner AKP derzeit keine Alternative gibt. Gebe es in der Türkei eine starke Opposition, die Regierungsverantwortung übernehmen könnte, wären wir natürlich für den Rücktritt Erdoğans, der meiner Meinung nach mit Sicherheit kein Demokrat, sondern ein Diktator und islamistischer Extremist ist.“
Wer statt unabhängiger Justiz seine eigene Justiz errichte, unschuldige Menschen jahrelang hinter Gitter sperre, Städte als sein Eigentum verstehe und Oppositionelle als Feinde betrachte, müsse als „Diktator“ und „autoritär“ bezeichnet werden. „Die einzige demokratische Facette an Erdoğan ist, dass er gewählt wurde.“
Rückendeckung bekommen die Demonstranten aber auch von vielen in Wien lebenden Türken. Bereits zu Beginn der Zusammenstöße fand auf dem Stephansplatz eine spontane Solidaritätskundgebung statt. Mehrere hundert Vertreter zahlreicher türkischer und kurdischer Vereine kamen in das Stadtzentrum von Wien: „Türken und Österreicher, aber auch Kurden und Aleviten, ungeachtet aller ethnischen Probleme in der Türkei, demonstrierten gegen die Gewalt und für die Einhaltung demokratischer Grundrechte in der Türkei“, sagt der grüne Landtagsabgeordnete und Integrationssprecher, Senol Akkiliç, der selbst an der Demo teilnahm.
Die Demonstranten standen teilweise in direktem Kontakt mit Aktivisten im Gezi-Park und wurden so über die dortigen Vorgänge informiert. Akkiliç: „Die Brutalität, mit der Erdoğans Regierung gegen friedliche Umweltschützer und Menschenrechtsaktivisten in der Türkei vorgeht, ist mit Demokratie nicht vereinbar. Zu Recht unterstützen viele Wiener die berechtigten Anliegen der Aktivisten.“
„Einer Regierung unwürdig“
Unterstützung für die Demonstranten gab es auch von der außenpolitischen Sprecherin der Grünen, Alev Korun. „Ich bin extrem besorgt über die jüngsten Nachrichten, dass nun aufgrund der Proteste in der Türkei von Premier Erdoğan Spezialkräfte wie die Antiterroreinheit vorgeschickt werden, um Hausdurchsuchungen und Festnahmen durchzuführen. Dieser Umgang mit der Meinungsfreiheit der eigenen Bevölkerung von einem EU-Beitrittskandidaten macht sprachlos“, meint Korun. „In einer demokratischen Republik haben auch regierungskritische oder gar unbeliebte Meinungen ihren Raum. Der Versuch, friedliche Proteste durch eine Verhaftungswelle abzudrehen, ist einer Regierung unwürdig.“
Sie appelliert an Erdoğan, die Chance zu ergreifen, „um endlich mit seinen Bürgern in Dialog zu treten“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2013)