Erdoğans viele Freunde in Österreich

Erdoğan in Wien
Erdoğan in WienMichaela Bruckberger
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Die AKP-Regierung hat trotz ihres autoritären Vorgehens in Istanbul auch in Österreich ihre Unterstützer. Bei einer Kundgebung am Sonntag in Wien werden mehrere tausend Menschen erwartet.

Am Sonntag wird es sich also zeigen, wie viel Rückhalt Recep Tayyip Erdoğan in Österreich hat: bei einer Demonstration der Plattform „Pro Erdoğan“ (13.30 Uhr, Columbusplatz, 1100 Wien), die Solidarität mit dem Vorgehen des türkischen Ministerpräsidenten signalisieren soll. Es werden mehrere tausend Menschen erwartet.

Menschen, die der grüne Bundesrat Efgani Dönmez vor einigen Tagen noch mit einem „One-Way-Ticket“ in die Türkei schicken wollte. Schließlich, so begründete er seinen provokanten Sager, stünde ihre Verteidigung des türkischen Ministerpräsidenten und seines autoritären Führungsstils im Widerspruch zu demokratischen österreichischen Werten. Zwar ruderte Dönmez bald wieder zurück und bedauerte seine Wortwahl, doch die Debatte um türkischstämmige Österreicher als verlängerten Arm von Erdoğans AKP war längst losgetreten.

Tatsächlich gibt es einige Anhaltspunkte, wie weit der Einfluss der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung über die Grenzen der Türkei reicht – auch bis nach Österreich. Was unter anderem damit zusammenhängt, dass Auslandstürken, die in der kemalistischen Türkei lange nicht ernst genommen wurden, mit dem Aufkommen der religiös geprägten Parteien Ende der 1980er-Jahre als relevante politische Kraft entdeckt wurden.

Empfänglich für religiöse Parteien

Zum einen kam ein großer Teil der türkischen Migration aus den strukturschwachen Regionen Zentralanatoliens – und die zumeist ländliche Bevölkerung war für Botschaften der konservativ-religiösen Parteien besonders empfänglich. Zum Zweiten erkannte die türkische Regierung, dass die Diaspora als Lobby für türkische Interessen in Europa nützlich sein könnte. Und so entstand in Österreich ein dichtes Netz an Organisationen, Vereinen und Medien, die unter anderem dazu dienen, die Community der Auslandstürken an die alte Heimat zu binden. Atib, die größte türkische Vereinigung des Landes, ist etwa direkt dem türkischen Amt für Religionsangelegenheiten (Diyanet) unterstellt. Die in Deutschland entstandene „Milli Görüs“, die hierzulande unter dem Namen „Islamische Föderation“ auftritt, orientiert sich wiederum an den Ideen des 2011 verstorbenen islamisch-nationalistischen Politikers Necmettin Erbakan – aus seiner Tugendpartei ging später die AKP hervor.

Gerade Vereinigungen wie diese gelten bei Experten als langfristige Integrationsbremsen – sie werden dafür mitverantwortlich gemacht, dass die türkische Community stärker als alle anderen migrantischen Gruppen an der alten Heimat hängt. In Zahlen: Laut einer GfK-Umfrage aus dem Jahr 2011 fühlen sich rund 70Prozent der Menschen aus der türkischen Community eher der Türkei zugehörig als Österreich.

Der Schluss, dass deswegen die österreichischen Türken allesamt die Politik der AKP gutheißen, lässt sich daraus allerdings nicht ableiten. Denn schon allein die rund 60.000 türkischen Aleviten haben in der Regel wenig Sympathien für die islamische Partei, auch unter den rund 100.000 Kurden – wie viele davon aus türkischem Gebiet stammen, ist nicht bekannt – darf Erdoğan nicht auf allzu viel Zustimmung hoffen.

Viele unterschiedliche Lager

Dazu kommt, dass auch die übrigen Türken zum Teil aus völlig unterschiedlichen Lagern kommen. „Viele Menschen, die nach Österreich gekommen sind, waren vorher politisch organisiert“, sagt Politologe Ilker Ataç von der Universität Wien. Dementsprechend groß sei das Spektrum der Weltanschauungen unter der türkischstämmigen Bevölkerung – von Kemalisten über säkular-liberale und religiös-konservative bis zu linken und rechtsextremen Gruppierungen.

Dass die österreichischen Türken – so wie auch jene in Deutschland – für die AKP als Wähler dennoch wichtig sind, zeigten die Besuche Erdoğans kurz vor der Wahl 2011: Die Auslandstürken sollten gezielt umworben und zur Stimmabgabe gewonnen werden. Wie viele Stimmen es letztlich waren, die mit zum fulminanten Sieg der AKP beigetragen haben, ist allerdings nicht bekannt. Der türkischstämmige Soziologe Kenan Güngör schätzt, dass – abzüglich der Kurden und Aleviten – etwa 50 Prozent der hier wahlberechtigten Türken zur AKP tendieren.

Allerdings dürfe man nicht den Fehler machen, diese Menschen in einen Topf zu werfen – denn selbst unter AKP-Sympathisanten gebe es mehrere Strömungen. Die größte sei dabei jene der gemäßigt Religiösen, daneben gebe es sowohl Strenggläubige als auch einen kleinen, aber einflussreichen, liberal denkenden muslimischen Anteil. Umgekehrt hat Erdoğans Vorgehen aber auch bei seinen Gegnern etwas bewirkt – Linke, Kurden, Kemalisten, die unterschiedlichsten politischen Lager, die bisher heftige Konflikte untereinander ausfochten, treten nun zusammen auf. Gegen die Religiösen, gegen die AKP. Auch in Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2013)

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