Kreuzzüge: „Für den Islam nicht furchtbar wichtig“

Kreuzzuege Fuer Islam nicht
Kreuzzuege Fuer Islam nicht(c) REUTERS (� Alessandro Garofalo / Reuters)
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Warum rief der Papst zum Kreuzzug? Wie brutal waren die Christen in Jerusalem, wie tolerant Saladin? Ein Gespräch mit dem großen deutschsprachigen Kreuzzugs-Historiker, Hans Eberhard Mayer.

Die Presse: „Der US-amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark bezeichnet in seinem Buch „Gottes Krieger" den Ersten Kreuzzug als „Notwehr". Ein starkes Wort, was sagen Sie dazu?

Hans Eberhard Mayer: „Von Notwehr kann man nicht sprechen. Früher gab es unter Chlodwig die Sarazenen, später im 10. Jahrhundert die Invasion der heidnischen Ungarn, der Wikinger im 10. Jahrhundert - das waren Fälle von Notwehr. 1095 gab es keine Invasion.

Was hatte Papst Urban II. wirklich im Sinn, als er zum Ersten Kreuzzug aufrief?
Mayer:
Seine Motive sind letzlich schwer zu erkennen. Zwar wird seine Kreuzzugs-Rede auf dem Konzil in Clermont von vier Chronisten überliefert, aber nur einer war dabei, die anderen Texte entstanden erst nach dem Erfolg des 1. Kreuzzugs. Die Berichte divergieren relativ stark, aber es scheint, dass der Papst die Bedrückung der Ostchristen durch die türkischen Seldschuken und noch weiter östlich in düsteren Farben gemalt hat und verlangte, dass man ihnen zu Hilfe kommt. Politisch gesehen wäre das also Hilfe für Byzanz, verbunden mit der Hoffnung auf eine Kirchenunion. Die Trennung von Ost- und Westkirche lag ja erst wenige Jahrzehnte zurück. Dazu kam wohl die Hoffnung, dass mehr Friede eintreten werde statt einer ständigen Bedrohung sozial schwacher Schichten.

Die Wirkung der Rede war jedenfalls offenbar überwältigend - wie ging das ohne moderne Medien?

Mayer: Die Konzilsteilnehmer haben es dorthin gebracht, wo sie zuhause waren, Papst Urban II. hat selbst eine große Reise gemacht. In den Ländern, die nicht in Clairmont vertreten waren, wurde der erste Kreuzzug auch nicht gepredigt, zum Beispiel in England. Es gab dann auch noch Kreuzzugsprediger, wie den heiligen Bernhard oder den struppigen Peter der Einsiedler. Aber insgesamt wirkte vor allem das Lehenswesens - wenn der Herzog ging, hatten die Vasallen gefälligst mitzugehen.

Wie viel weiß man über die Zahl der Kreuzfahrer?

Mayer: Da kann man gar nichts sagen! Mittelalterliche Schätzungen sind abenteuerlich hoch und moderne Schätzungen haben keine Grundlage. Wir kennen zum Beispiel beim ersten Kreuzzug die Anführer der einzelnen Kontingente, aber nicht, wie viel die mitbrachten. Sicher ist nur, die Kreuzzüge waren Massenphänomene.

Wie weit lassen sich die Motive der Kreuzfahrer rekonstruieren?

Mayer: Sehr stark wirkte der vom Papst verkündete Kreuzzugs-Ablass (Teilnehmern wurden die zeitlichen Sündenstrafen erlassen, Anm. d. Red.). Das gab es in dieser Form noch nie, und auch nicht die Idee der bewaffneten Pilgerwallfahrt. Daneben gab es natürlich Abenteuerlust und ein starker demografischer Druck. Die Bevölkerung wuchs, und da die Adelsfamilien daran interessiert waren, den Familienbesitz zusammenzuhalten, gingen die Nachgeborenen leer aus. Dazu kommt die Landwirtschaftskrise, die ihren Höhepunkt um das Jahr 1000 hatte, mit vielen Hungersnöten im 11. Jahrhundert. Dem entgingen viele durch den Kreuzzug. Außerdem wurden Angehörige niederer Schichten, wenn sie sich im Heiligen Land niederließen, zu freien Menschen, die Burgenses, die Bourgeoisie, setzte sich sich dort aus Handwerkern und Bauern zusammen.

Es gab auch jede Menge Privilegien für Kreuzfahrer ...

Mayer: Ja, zum Beispiel ein Schuldenmoratorium bis zur Rückkehr. Im 13. Jahrhundert konnte man dann auch offiziell das Kreuz nehmen, aber jemand anderen an seiner Stelle zu schicken, viele zahlten und statt ihnen wurde jemand geschickt, den sie gar nicht kannten! Der päpstliche Kreuzzugs-Ablass wurde übrigens bis 1940 in Spanien verkauft. Von den Franziskanern habe ich selbst einmal ein Ablass-Angebot erhalten, wenn ich eine bestimmte Summe zahle!

Die Eroberung Jerusalems 1099 durch die Kreuzfahrer gilt als extrem gewalttätig. War diese Gewalt selbst für die damalige Zeit etwas Besonderes?

Mayer: Die Gewalt war schon massiv, aber für die Zeit nicht außergewöhnlich. Man kann keine humanitäre Elle von heute anlegen. Da haben sich die Entbehrungen entladen, die die Kreuzfahrer jahrelang erdulden mussten. Davor bei der Belagerung von Antiochia gab es sogar Kannibalismus, wild gewordene Flamen verspeisten gefallene Türken. Umgekehrt wurden 1244 bei der Rückeroberung Jerusalems die Christen hingeschlachtet. Aber grundsätzlich hatte der Islam die Haltung, die Christen in eroberten Gebieten gegen eine Kopfsteuer in Ruhe zu lassen, wenn man alle tötete, hatte man keine Arbeitskräfte. Die Christen schlugen auf den Kreuzzügen anfangs alle tot, dann merkten sie auch, dass das kontraproduktiv ist, und gingen dazu über, den Städten freien Abzug der Bevölkerung anzubieten. Es lag ja auch im Eigeninteresse der Belagerer, Belagerungen waren schwierig, die Rammböcke aus Holz, von oben konnte man griechische Feuer abwerfen, die mit Wasser nicht zu löschen waren, man musste unter der Mauer Stollen graben und Holz anbrennen, was schließlich die Mauer zum Einsturz brachte. Und dann noch kämpfen!

Der muslimische Heerführer Sultan Saladin wurde in der Aufklärung von Lessing als Musterbeispiel der Toleranz präsentiert, wie war er wirklich?

Mayer: Von Toleranz,die darüber hinausgegangen wäre, dass er 1187 die Christen gegen Lösegeld abziehen ließ, würde ich nicht sprechen. Großzügig war er schon, gegen eigene Leute wie immer wieder gegen Gegner, aber seine Toleranz ist eine Erfindung Lessings. Saladin sah sich als Exponent des heiligen Krieges, da ist mit Toleranz nicht viel zu holen. Gewisse ritterliche Züge hatte er schon, als Richard Löwenherz sehr krank wurde, ließ er ihm Obst und Wein schicken, und zwar gekühlten Wein! Da wurde extra im nördlichen Libanon der Schnee entfernt, um den Wein zu kühlen ... Auch mit Geld war er sehr großzügig, er starb bettelarm, steckte alles in den Krieg oder verschenkte es. Das war offenbar sein Naturell, sein Nachfolger war gar nicht so.

Wie stark war später die Erinnerung an die Kreuzzüge in der islamischen Welt?

Mayer: Wenn man bedenkt, dass der Islam von Syrien und Palästina bis nach Indien reichte, waren die Kreuzzüge für den Islam ein Phänomen am äußersten westlichen Rand des Islams und nicht so furchtbar wichtig wie für die Christen.

Wenige Jahre nach Auschwitz schrieb der legendäre Kreuzzugshistoriker Sir Steven Runciman über den vierten Kreuzzug mit der Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer, es habe „niemals ein größeres Verbrechen an der Menschheit gegeben" - warum?

Mayer: Das kommt einfach daher, dass Runciman Byzantinist war und damals enorme antike und byzantinische Kulturgüter zerstört wurden. Die Venezianer haben damals auch die Quadriga geklaut, die jetzt vor dem Markusdom steht.

Sind Sie Runciman je begegnet?

Mayer: Ich habe ihn in den 1980er-Jahren mal in Schottland besucht, auf seinem Sommersitz, einer alten Burg. Er arbeitete im Turm und hatte für jedes seiner Spezialgebiete ein Stockwerk reserviert, da gabs das Kreuzzüge-Stockwerk, ein Stockwerk für 1453, eins für die sizilianische Vesper ... Seine Kreuzzugsgeschichte hat allerdings mehr literarisch als historiografischen Wert, sie erschien Anfang der 1950er, da waren die großen Umbrüche etwa in der Geschichte der Kreuzfahrerstaaten, die Eigenheiten des Lehenswesens etc. noch gar nicht berücksichtigt.

Sie haben jahrzehntelang die Kreuzzüge erforscht, wie kam das?

Mayer: Mein Ansatz war ursprünglich ganz verfehlt und völlig romantisch - ich habe „Ivanhoe" von Walter Scott gelesen!

Wie weit gibt es bis jetzt Ansätze zur Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern aus Europa und dem arabischen Raum, wenn es um die Darstellung und Bewertung der Kreuzzüge geht?

Mayer: Es gibt keine. Natürlich haben arabische Gelehrte Chroniken zur Kreuzzugszeit ediert, aber leider befähigt die Ausbildung die Leute nicht wirklich zu historischer Forschung. Früher kamen sie aus arabischen Ländern gern nach Paris, um einen Abschluss von dort vorzuweisen, da hatte man in Frankreich eine salomonische Lösung, man warf ihnen die Examina nach und aufs Diplom kam ein Gummistempel „Bon pour l'orient", „geeignet für den Orient". Damit konnten sie in Europa nix werden, aber in Damaskus schon.

Zur Person

Hans Eberhard Mayer, geb. 1932, ist emeritierter Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Kiel, er hat jahrzehntelang zu den Kreuzzügen geforscht und zählt zu den führenden internationalen Experten. Sein Buch „Geschichte der Kreuzzüge“ erscheint seit 1965 in immer neuen veränderten Auflagen und gilt als als DAS deutschsprachige Standardwerk.

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