HTL-Professor und Handarbeitslehrerin nicht vergleichbar?

Ein wunderbarer Satz von Finanzministerin Maria Fekter hat viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Obwohl er vier fundamentale Schieflagen unserer Arbeitswelt sehr präzise benennt.

Absicht war dieser Satz wahrscheinlich nicht: „Eine Handarbeitslehrerin in der Volksschule ist nicht mit einem Technikprofessor an der HTL vergleichbar“, sagte Maria Fekter. Sie meinte die Verhandlungen über das neue Lehrerdienstrecht. Doch dieser Satz verdient es, genauer untersucht und gewürdigt zu werden.

Vier Hierarchiepaare stecken drin. Das erste: Volksschule und HTL, die kleinen und die großen Kinder also. Mit kleinen Kindern zu arbeiten sei weniger wert, als mit großen Kindern zu arbeiten – darüber herrscht in Österreich Konsens. Es bringt weniger Prestige und weniger Geld. Aber warum eigentlich? Daran, dass das kleine Einmaleins leichter ist als die Integralrechnung, kann es nicht liegen. Ist es etwa leichter, Kindern Ersteres beizubringen? Braucht es dafür weniger Gespür, weniger didaktische Fähigkeiten, weniger soziale Kompetenz?

Eher ist es umgekehrt: je jünger die Kinder, desto größer die Verantwortung. Was im Kleinkindalter passiert (oder nicht passiert), legt schließlich den Grundstein für den gesamten weiteren Bildungsweg. In anderen Branchen wird mehr Verantwortung mit mehr Geld und Ehre belohnt, oder?

Verwandt mit diesem Hierarchiepaar ist das zweite: die Lehrerin und der Professor. Ja, da legt die AHS-Lehrergewerkschaft viel Wert drauf, dass die beiden nicht miteinander verwechselt werden. „Professor“ nennt man im angloamerikanischen Raum einen Hochschullehrer mit einem PhD oder einer Habilitation. In Österreich reicht dafür ein Magistertitel. So billig dieser Professor zu erwerben ist, so hartnäckig wird er verteidigt, denn nur er garantiert den Distinktionsgewinn gegenüber Pflichtschullehrern. Gerade dann, wenn sonst kein Unterschied besteht; gerade dann, wenn beide vor ähnlichen Kindern stehen und nach demselben Lehrplan dasselbe unterrichten, sei es Integralrechnung, Biologie oder Werken.

Womit wir beim dritten Hierarchiepaar sind: Handarbeiten und Technik. Ersteres gibt es ja streng genommen gar nicht mehr. „Technisches und textiles Werken“ heißt das Fach, und da wäre beides, das Häkeln und die Laubsägearbeit, theoretisch auf gleicher Hierarchiestufe vereint.

In unseren Köpfen schaut das jedoch anders aus, auch in unserem Sprachgebrauch – und in den Kollektivverträgen. Mit „Technik“ ist meistens die Metallindustrie gemeint, ein IT-Betrieb, ein Werkzeugmacher oder eine Automobilfabrik. Dort sind gut bezahlte Facharbeiter am Werk. Eine Textilfabrik oder Näherei hingegen zahlt deutlich weniger. Weil „Handarbeiten“ weniger wert ist als andere Arten Handarbeit? Weil man damit die häkelnden Mädchen aus der Volksschule assoziiert? Oder warum sonst?

Das letzte Hierarchiepaar entlarvt sich an dieser Stelle beinahe von selbst. Die Handarbeitslehrerin (mit den kleinen Kindern) ist eine Frau, der Technikprofessor (mit den großen) ist ein Mann. Und so selbstverständlich der Unterschied zwischen ihren Geschlechtsmerkmalen, so selbstverständlich erscheint uns, dass der eine mehr verdient als der andere. Was die beiden tun, sei „nicht vergleichbar“, heißt es. Und wenn doch, dann geht der Vergleich immer zu seinen Gunsten aus.

An genau diesen vier Schieflagen hakt es – nicht nur in unseren Schulen, sondern auch in unserer Arbeitswelt. So präzise wie Maria Fekter hätte das keine Gender- oder Bildungsforscherin auf den Punkt gebracht.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2013)

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