Soll man Männer aus den Universitäten verbannen?

Soll man Männer aus den Universitäten verbannen?
Soll man Männer aus den Universitäten verbannen?Clemens Fabry
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Gender. Wie die Frauen doch an die Unis kamen. Und warum Späth auch recht hatte.

Männer studieren lassen, ihre physische Stärke nicht in körperlicher Arbeit Erfüllung finden lassen? Ihre natürliche Antriebslust, ihren Willen zur Herausforderung in stickigen Hörsälen einsperren? Scherz beiseite, zurück zu Späth. Soll man ihm böse sein? Er war ein Kind seiner Zeit – und Schopenhauer-Fan. Wie sollte da etwas Innovatives herauskommen? Das Anliegen der Frauen, nämlich ihr eigenes Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können, war damals sichtlich undenkbar. Die Wissenschaftler konnten nicht verstehen, worum es eigentlich ging: um die Begegnung auf Augenhöhe.

Weiblich kontra Wissenschaft?

Man liest die Rede mit Erheiterung: Diese Argumente galten also als wissenschaftlich? „Im Manne herrscht der kalte Verstand [. . .], des Mannes Denken vermag mit zäher Ausdauer in die Tiefe zu dringen [. . .]. Die Frau [. . .] sieht, wie ja Schopenhauer richtig bemerkt, nur das Oberflächliche, Zunächstliegende.“ Schopenhauer, dessen kalter Verstand die Frau trotz vermutlich „zäher Ausdauer, in die Tiefe zu dringen“ offensichtlich nur oberflächlich wahrgenommen hat, wird wie ein rettender Anker herbeizitiert, um „Nachtigallen nicht zu Adlern werden zu lassen. Man strebe nicht gegen die Gesetze der Natur. Oder ist vielleicht der Grundstein, der, weil er unscheinbar im Dunkel der Erde ruht, von geringerem Wert als der Schlussstein, der sonnenbeglänzt am Giebel prangt?“ Aber natürlich nicht, möchte man zustimmen. Wenn es mit der Wertschätzung im Alltag auch ein wenig hapert. Denn: Wie hieß eigentlich sein „Grundstein“? Hatte er einen? Warum hat sie keine Rede gehalten? Ah ja, sie durfte ja nicht. Und so redet man heute über den Schlussstein. Auch eine Bestimmung der Natur, dass Männer Geschichte machten und nicht Frauen?

Ja, eine leichte Gänsehaut zieht doch auf. In anderen Worten hören diese „wissenschaftlichen Argumente“ noch heute viele Mädchen, die sich für Technik interessieren – dass das nicht „weiblich“ sei. So liegt der Anteil der Frauen in technischen Studien immer noch hinter denen der Männer zurück. Aber immerhin: Sie studieren. Und zwar 1999 erstmals mehr Frauen als Männer: 114.139 zu 113.325. Und so ist es geblieben.

Denn Schopenhauer hin, Natur her: 1878 wurden an der Uni Wien Gasthörerinnen zugelassen. 1896 wurden im Ausland erworbene Doktordiplome anerkannt, ab 1897 konnten Frauen an den Unis Wien, Prag, Graz und Innsbruck Philosophie studieren. Im selben Jahr promovierte Gabriele Possanner als erste Ärztin Österreichs.

Statistisch scheinen die „emancipationslustigen Frauenzimmer“ ab dem Studienjahr 1907/08 auf. Von den 729 Grazer Studenten waren vier weiblich – an der Uni Wien keine, in Brünn eine. Zehn Jahre später waren schon 2188 Studentinnen inskribiert, 1936/37 waren es 3477 (von 15.201). Im Jahr 1919 erhielten Frauen Zutritt zur juristischen Fakultät, 1928 zur evangelisch-theologischen und 1945 zur katholisch-theologischen Fakultät der Uni Wien.

Und wie sah es mit dem Personal aus? Die erste österreichische Professorin war  Elise Richter – sie promovierte 1901, habilitierte 1907 – und wurde 1921 zur außerordentlichen Professorin ernannt. Am 10. März 1938 hielt sie die letzte Vorlesung, 1943 starb sie im KZ Theresienstadt.

Noch 2004 waren nur 14 Prozent der Professorenschaft weiblich, derzeit sind 476 von 2309 Professoren Frauen, also rund 20 Prozent. Und auf eine Rektorin wartete Österreich im 20. Jahrhundert vergebens. Erst 2007 stand mit Ingela Bruner (Boku, bis 2009) eine Frau an der Spitze einer öffentlichen Uni. Seit 2011 sind Christa Neuper (Uni Graz), Eva Blimlinger (Akademie der bildenden Künste) und Sabine Seidler (TU Wien) als Rektorinnen im Amt.
Wie sie die „Frauenfrage an den Unis“ sieht? „In der wissenschaftlichen Arbeit sind für mich keine Unterschiede wahrnehmbar“, sagt Seidler. „In der Beurteilung von Jobqualitäten scheinen diese allerdings zu bestehen. Faktoren wie Gestaltungsspielraum und persönliche Erfüllung stehen oft vor dem Hierarchieaufstieg.“

Hier sprechen auch die Zahlen eine deutliche Sprache: Frauen schließen zwar mehr Bachelorstudien ab – 2010/11 etwa 6161 (Männer: 5010), doch Männer hängen öfter das Masterstudium dran: 1968 (Frauen: 1886). Das liegt nicht nur an Karenzzeiten oder Finanzierungsschwierigkeiten, sondern auch daran, dass Frauen zum ersten Bachelor durchaus einen zweiten kombinieren, während sich Männer mit einem Master spezialisieren. Und so gesehen – man muss es Späth zugestehen – gehen die Männer tatsächlich mehr in die Tiefe. Seidler: „Die ,Frauenfrage‘ ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der sicher nicht morgen abgeschlossen ist.“

("Die Presse", 165 Jahre Jubiläumsausgabe, 29.06.2013)

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