1861: Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten

Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten
Sklavenemanzipation. Für die Sklavenhaltergesellschaft des Südens zählt nicht nur die Hautfarbe, sie sieht die arbeitende Klasse für die Sklaverei geschaffen.

[7. November 1861] Lässt der Norden den Süden laufen, so befreit er sich von aller Verquickung mit der Sklaverei, von seiner geschichtlichen Erbsünde und schafft die Grundlage einer neuen und höheren Entwicklung. In der Tat, wenn Nord und Süd zwei selbstständige Länder bildeten, wie etwa England und Hannover, so wäre ihre Trennung nicht schwieriger als die Trennung von England und Hannover war. „Der Süden“ jedoch ist weder ein geografisch vom Norden fest geschiedenes Gebiet noch eine moralische Einheit. Er ist überhaupt kein Land, sondern eine Schlachtparole.

Der Rat einer gütlichen Scheidung setzt voraus, dass die südliche Konföderation, obgleich sie die Offensive zum Bürgerkrieg ergriff, ihn wenigstens zu defensiven Zwecken führt. Man glaubt, es handle sich für die Sklavenhalterpartei nur darum, die Gebiete ihrer bisherigen Herrschaft zu einer selbstständigen Staatengruppe zu vereinigen und der Oberhoheit der Union zu entziehen. Nichts kann falscher sein. „Der Süden braucht sein ganzes Territorium. Er will und muss es haben.“ Mit diesem Schlachtruf überfielen die Sezessionisten Kentucky. Unter ihrem „ganzen Territorium“ verstehen sie zunächst sämtliche sogenannten Grenzstaaten (border states), Delaware, Maryland, Virginia, North-Carolina, Kentucky, Tennessee, Missouri und Arkansas. Außerdem beanspruchen sie das ganze Territorium südlich von der Linie, die vom nordwestlichen Winkel Missouris bis zum Stillen Ozean läuft.

Was die Sklavenhalter „den Süden“ nennen, umfasst mehr als drei Viertel des bisherigen Gebiets der Union. Ein großer Teil des so beanspruchten Gebiets befindet sich noch im Besitz der Union und müsste ihr erst aberobert werden. Sämtliche sogenannten Grenzstaaten aber, auch die im Besitz der Konföderation befindlichen, waren nie eigentliche Sklavenstaaten. Sie bilden vielmehr das Gebiet der Vereinigten Staaten, worin das System der Sklaverei und das System der freien Arbeit nebeneinander existieren und um die Herrschaft streiten, das eigentliche Schlachtfeld zwischen Süd und Nord, zwischen Sklaverei und Freiheit.

Kampf zweier sozialer Systeme.

Schon während 1856 bis 1860 hatten die politischen Wortführer, Juristen, Moralisten und Theologen der Sklavenhalterpartei nicht so sehr zu beweisen gesucht, dass die Negersklaverei berechtigt sei, als vielmehr, dass die Farbe gleichgültig zur Sache und die arbeitende Klasse überall zur Sklaverei geschaffen sei. Man sieht also, dass der Krieg der südlichen Konföderation im eigentlichen Sinne des Wortes ein Eroberungskrieg zur Ausbreitung und Verewigung der Sklaverei ist.

Der gegenwärtige Kampf zwischen Süd und Nord ist also nichts als ein Kampf zweier sozialer Systeme, des Systems der Sklaverei und des Systems der freien Arbeit. Weil beide Systeme nicht länger friedlich auf dem nordamerikanischen Kontinent nebeneinander hausen können, ist der Kampf ausgebrochen. Er kann nur beendet werden durch den Sieg des einen oder des andern Systems.

Wenn die Grenzstaaten, die streitigen Gebiete, worin beide Systeme bisher um die Herrschaft rangen, ein Dorn im Fleisch des Südens sind, so ist andererseits nicht zu verkennen, dass sie in dem bisherigen Lauf des Krieges die Hauptschwäche des Nordens bildeten. Ein Teil der Sklavenhalter in diesen Distrikten heuchelte Loyalität für den Norden auf Geheiß der Verschwörer im Süden; ein anderer Teil derselben fand es in der Tat seinen reellen Interessen und traditionellen Begriffen gemäß, mit der Union zu gehen.

Beide haben den Norden gleichmäßig gelähmt. Angst, die loyalen  Sklavenhalter der Grenzstaaten bei gutem Humor zu erhalten, Furcht, sie der Sezession in die Arme zu werfen, mit einem Wort zarte Rücksichtnahme auf die Interessen, Vorurteile und Empfindlichkeiten dieser zweideutigen Verbündeten, hat die Unionsregierung seit Beginn des Krieges mit unheilbarer Schwäche geschlagen, sie zu halben Maßregeln gedrängt, sie gezwungen, das Prinzip des Krieges wegzuheucheln und den verwundbarsten Fleck des Gegners zu schonen, die Wurzel des Übels – die Sklaverei selbst.

Karl Marx war in den Jahren 1861 und 1862 London-Korrespondent der „Presse“.

("Die Presse", 165 Jahre Jubiläumsausgabe, 29.06.2013)

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