Der Umsturz auf dem Papier - Zwischen Bürgern und Radikalen

Aufruhr. Ja, dürfen s' denn des? Wie das unzufriedene Bildungsbürgertum eine Revolution anzettelte, und was daraus wurde. Über Macht und Ohnmacht des geschriebenen Wortes.

Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang.“ Es kann sein, dass Nestroy entgegen heutigem Bühnenbrauch den Refrain aus seinem Couplet auf dem ersten Wort betont hat, nicht dem zweiten. Gegen Betonung konnten Zensurorgane des Vormärz schwer etwas unternehmen, sie konnten sich nur ärgern über Künstler und Intellektuelle, die mit mehr oder minder feiner Satire gegen die Sekkaturen des Metternich'schen Polizeistaats aufbegehrten. Staatskanzler Metternich war das Symbol der Reaktion, er stand für Staatenlenkung von oben, zögernde Modernisierung, Unterdrückung und Polizeistaat, er fürchtete stets den Umsturz.

Der kam dann auch im März 1848, als sich die Frustration über das restriktive Bevormundungssystem entlud. Ein Konjunktureinbruch in den beiden Jahren zuvor mit Missernten, industrieller Absatzkrise und Geldwertverfall war mit ausschlaggebend. Mit all diesen Krisen war eine Regierung alter Herren konfrontiert, der Monarch, Ferdinand der Gütige, galt als unqualifiziert, man spielte in Österreich Absolutismus ohne Herrscher. So war die Revolution eher eine Revolution gegen das Korsett eines Obrigkeits- und Verwaltungsstaats und gegen Jahre geistiger Lähmung. Um es typisch österreichisch zu sagen: Es muss etwas geschehen, sonst gschiecht was.
Bereits ab Ende Februar war die öffentliche Meinung nicht unter Kontrolle zu bringen. Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich Nachrichten von der Revolution in Paris. Da kam es während einer Sitzung der niederösterreichischen Landstände in der Herrengasse zu Tumulten. Die vom revolutionären Fieber überrumpelten Ständemitglieder sahen sich von einer tobenden Menge gedrängt, etwas zu unternehmen, vielleicht wären sie gern der welthistorischen Stunde ausgewichen, aber zu spät: Eingehakt, in Vierreihen marschierte man zur Hofburg und überreichte die Forderungen nach einer freiheitlichen Verfassung für alle Länder der Monarchie mit staatsbürgerlichen Grundrechten, mehr Ständerechten, Freiheit der Presse, Gleichstellung der Konfessionen, Rücktritt Metternichs. Durch den Zug zur Hofburg war aus dem Krawall in der Herrengasse eine Haupt- und Staatsaktion geworden, die Revolution. Archaischer, elementarer, wuchtiger spielte sich gleichzeitig die Revolte in den Arbeitervorstädten ab, Arbeitslose stürmten die Fabriken und zertrümmerten die verhassten Maschinen, Ämter, Gerichte, Polizeistuben wurden angezündet. Die Feuersäulen in den Vorstädten machten wohl mehr Eindruck als die Petition: Das Militär wurde eingesetzt, es kam zu Toten. Progressive Auflösungstendenzen an der Staatsspitze, als Metternich zurücktreten musste.

Karl Marx als Augenzeuges

Die Bürgerwehr und die neu gebildete bewaffnete Nationalgarde, geschaffen auf den Grundlagen der Bildung und des Besitzes, sorgte stellvertretend für Ordnung, ging gegen die unruhigen Arbeiter vor, das verlief nicht ohne Blutvergießen. Der Klassenkonflikt zwischen Arbeitern und Bürgern trat im Sommer dann deutlich hervor. Karl Marx – er war im August in Wien – hat das erkannt und wies auf die Analogie zu den Ereignissen in Paris hin, es gehe jetzt auch hier um den Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Im Drehbuch der Revolution war vorgesehen, dass diese zu einer Machtergreifung des Bürgertums führen sollte. Nur: Vorbereitet und getragen hat das, was Marx unter Bourgeoisie verstand – das Unternehmerbürgertum – die Revolution keinesfalls. Das unternehmerische Groß- und Mittelbürgertum war mit den Zuständen im Vormärz gar nicht so unzufrieden. Wirklich unzufrieden war hingegen das Bildungsbürgertum – Schriftsteller, Professoren, Gelehrte, Journalisten –, also eher Vertreter des Mittelstands. Doch diese liberal-konservativen Elemente ließ der Gedanke vor einer Republik geradezu erschaudern, sie bevorzugten eine konstitutionelle Monarchie. In keiner Sekunde war ihre Revolution gegen das Herrscherhaus gerichtet, die Abreise der kaiserlichen Familie aus Wien rief geradezu mulmige Gefühle und Katzenjammer hervor. „Das Beil der Guillotine blitzte in allen Silben des Wortes Republik“ (Flaubert).
ss0;7Die Mai-Revolution wurde hauptsächlich von Studenten, Handwerkern und Arbeitern getragen, denn deren Situation hatte sich seit März ganz und gar nicht verändert. Mit der Pressefreiheit war für Bewohner der Vorstädte nicht viel gewonnen. So geriet ab Mai die „bürgerliche“ Revolution in eine schwere Entscheidungskrise, es kam zu der unvermeidbaren und verhängnisvollen sozial-ideologischen Spaltung der Revolution im Spätsommer 1848, gefolgt von der militärischen Niederschlagung im Oktober. Ab dem 3. Juli 1848 nahm die neu gegründete „Presse“ Stellung: Was war wichtiger – die Ausweitung persönlicher und politischer Rechte oder der Bestand des Habsburgerreiches? Wer würde sich durchsetzen im Konflikt zwischen Bürgern und Arbeitern, Besitzenden und Besitzlosen, zwischen den gemäßigten Bürgerlichen, die eine Konstitution wollten, und den jungen Radikalen, überwiegend Studenten, die auf eine Republik hinzielten?

„Wir lieben das Volk“

Vor diese Alternative gestellt, wurde die Zeitung zum Sprachrohr der bürgerlich Gemäßigten, sie blieb den Idealen der Märzrevolution treu: „Wir sind Demokraten im eigentlichen Sinn des Wortes, wir lieben das Volk“, jede Zeitungsnummer stellte an die Spitze das Motto „Gleiches Recht für alle“.  Leicht war die Position als Sprachrohr des Liberalismus und eines Mittelwegs zwischen den einander bekämpfenden Extremen nicht, durch noch so aggressive Angriffe von links ließ sich die Zeitung nicht zu weit in die Ecke der Reaktion abdrängen und bestand auf ihrem Recht konstruktiver Kritik gegenüber der Regierung. Hat es auch den Anschein, als stellte sich die Zeitung am Ende der Revolution auf die Seite von Militär und Gegenrevolution, ihre Leistung in der Folge als Opposition in der repressiven Zeit des beginnenden Neoabsolutismus verdient Respekt.
Intellektuelle glauben ganz gern an die Macht des geschriebenen Wortes, dann ergebe sich alles schon von selbst. Daher ist die Revolution im Wien von 1848 voll von Disputationen, Leitartikeln, Petitionen. Es gab Barrikaden, Blutvergießen, ja, aber ihr Hauptmerkmal war – Rudolf Burger hat darauf hingewiesen – der Versuch, die Herrschaft durch Zureden zu reformieren. In das Zentrum des politischen Geschehens rückt so das gesprochene und geschriebene Wort. Niemals zuvor und niemals danach hat es so viele Zeitungen gegeben wie 1848. „Das würdigste Denkmal des Revolutionsjahres 1848 ist ,Die Presse‘“ (Rudolf Burger).

("Die Presse", 165 Jahre Jubiläumsausgabe, 29.06.2013)

("Die Presse", 165 Jahre Jubiläumsausgabe, 29.06.2013)

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