Bachmann. Jedermann. Sensenmann.

Der Bachmann-Preis? Abschaffen! Denn es ist schweinedemütigend, gegeneinander zu lesen. Und es ist schweinedemütigend, sich öffentlich in seiner Anwesenheit kritisieren zu lassen.

Der Bachmann-Preis gehört zu Klagenfurt wie der Jedermann zu Salzburg: Da ein schlechtes Stück, dort ein degoutantes Literaturwettlesen, aber eben eine liebe Gewohnheit, eine Tradition, eine Institution, ein Markenzeichen. Und beide sterben die ganze Zeit und hören nicht mit dem Sterben auf! Ich bin der Teufel aus der Höll' und hol den Jedermann jetzt schnöll!

Nun hat der ORF-Generalintendant Wrabetz en passant die Aussage fallen lassen, das hiesige Landesstudio werde den „Bachmannpreis im nächsten Jahr sicher nicht mehr veranstalten“ und damit die heimische Kulturszene in höchste Aufregung versetzt. Ich bin da Sensenmann von da Kultua und hob vom Bachmann-Preis jetz gnua! Für die Stadt wäre die Einstellung eine Katastrophe, für die Hotellerie, für ihr Image, einer der vielen Katastrophen, die den Weg der Stadt nach unten in den letzten Jahren pflastern, den Niedergang, den Abstieg. Aber würde sie sich zum Beispiel statt zwei bloß einen Magistratsdirektor leisten wie jede andere Kommune, könnte sie den Wettbewerb locker selber finanzieren und veranstalten und wäre auf das niedergehende Staatsfernsehen gar nicht erst angewiesen. Der Kulturstadtrat, der ahnungslos und empört wie immer war, hat gemeint, die Einstellung des Bachmann-Preises wäre ein schwerer Rückschlag für die Literatur in Kärnten.

Ach? Nun weiß ich nicht so genau, wer oder was die „Literatur in Kärnten“ sein soll. Wahrscheinlich gehöre ich gar nicht dazu. Aber für mich würde die Einstellung des Bachmann-Preises jedenfalls keinen „schweren Rückschlag“ bedeuten. Natürlich ist jeder eingesparte Kultur-Euro eine Versündigung. Aber den Literaturkritik-Jahrmarkt unter „Erfüllung des Kulturauftrags“ zu subsumieren ist doch weit hergeholt!

Kärntner Bachmann-Preis-Teilnehmer im Lauf der Geschichte: ein Kleindienst. Ein Rieger. Ein Ragger. Ein Ploder: Wo, bitte schön, sind die heute? Wo sind ihre Werke?


Veränderung in Nuancen. Wie viele, viele prominente Vertreter der Autorengeneration vor mir von Handke bis Bernhard (die zu Beginn des Preises im besten Bachmann-Preis-Alter gewesen wären), von Jelinek bis Menasse, von Bauer bis Gruber, von Kofler bis Widner, habe ich am Bachmann-Preis-Wettlesen niemals teilgenommen (und, um das klarzustellen: Ich habe mich von Anfang an niemals um eine Teilnahme beworben). Der Preis hat seinen Charakter im Lauf der Jahre nuancell geändert. (Die Jury kennt die Texte nun doch schon vor ihrer Verlesung, die Erstellung der Shortlist erfolgt aber weiter nicht öffentlich, im „stillen Kämmerchen“; solche Supermaulhelden wie MRR treten längst nicht mehr auf, im Gegenteil, mitunter wirklich hoch kompetente Juroren wie etwa Daniela Strigl oder subversive wie Maxim Biller, und es gibt den – anfangs verpönten – Publikumspreis). Ein grundsätzlich bösartig-absurdes Wettlesen ist er aber nach wie vor, und die heutige Generation junger Autoren (die hier keine Verlage mehr sucht, sondern avisierte Neuerscheinungen promoten will) ist vor die Alternative zwischen Vielleichtumwegrentabilität und ewigem Weggeschwiegenwerden gestellt größtenteils gefügig gemacht, aber es gibt auch heute noch gute Beispiele für Verweigerungen: zum Beispiel Thomas Glavinic.

Mein Verhältnis zum Bachmann-Preis fußt auf der simplen Tatsache, dass der Veranstaltungsort, das ORF-Theater(chen) und mein Büro, mein Lebensmittelpunkt bloß fünfhundert Meter auseinander liegen. Ich bin also kein „Teilnehmer“, kein Literaturlamm, sondern ein (gelegentlicher) „Vorbeischauer“ im Studiokaffeehaus oder im Theatergartenzelt, ein (im doppelten Sinn engagierter, bezahlter Meckerer, der sich über den gierigen Literaturbetriebswolf lustig macht. In den letzten Jahren habe ich aber sogar auf das fürstliche kalte Buffet am Eröffnungsabend verzichtet, aus Ekel vor dem dazugehörenden Schlangestehen und dem Smalltalk. Vor zwanzig Jahren – beginnend mit dem Bewerb des Jahres '91, den Urs Allemann mit seinem surrealen Text dominiert hat, ohne ihn zu gewinnen, sondern damit letztlich seine Karriere über Nacht zu vernichten – habe ich das Wettlesen ein paar Jahre lang verspottet.

Ich habe nachgelesen, genau genommen war es so: (Ich zitiere Harald Klauhs, im „Presse“-„Spectrum“ vom 16.Juni 2001: „Solchen Fehleinschätzungen kann man nur entgehen, wenn man, wie der Klagenfurter Autor Egyd Gstättner, seine Haut nicht zu Markte trägt, sondern den Markt mit seinen Mitteln übertölpelt. Und so schrieb er 1993 für ,Die Furche‘ einen Vorausbericht über das sich alljährlich vollziehende Ritual, brachte den Artikel im darauf folgenden Jahr mit ausgetauschtem Personal im ,Standard‘ unter und behielt auch im Folgejahr recht, als der Text – wieder rein personell aktualisiert – in der ,Süddeutschen‘ zu lesen war. Mit diesem Hattrick zeigte Gstättner jedenfalls, dass ,Fußball die Fortsetzung der Literaturkritik mit den gleichen Mitteln ist‘, wie Werner Fuld einmal formulierte.“ Einmal habe ich für Karin Resetarits im Fernsehen gemeckert.

Im Grund habe ich immer – ironisch, das heißt: hoffnungslos – gefordert, den Bachmann-Preis zu demontieren – nur ausgerechnet von Jörg Haider wollte ich ihn mir (2000) natürlich nicht abschaffen lassen. Dass die Rechte den Bewerb kontrainstrumentalisiert und Haider ihn als „steril und totgelaufen“ bezeichnet hat (und das Land als Preissponsor zurückzog) hat dem Bachmann-Preis damals gewissermaßen die Existenz gerettet, weil das einen linken Schulterschluss zur Folge hatte, bei dem man mitmachen musste – ungeachtet der Tatsache, dass die größten Autoren ihrer Zeit das öffentliche Wettlesen von Anfang an als unwürdig abgelehnt und boykottiert hatten. Dass Haider am Eröffnungsabend mutterseelenallein an einer Betonwand des ORF-Theaters lehnte und absolut niemand mit ihm sprechen wollte – außer vielleicht der gerade volljährig gewordene Stefan Petzner – das war eines der Highlights in der Geschichte der Veranstaltung, ebenso die versteinerten Mienen von Martinz und Übergangslandesmutter Claudia Haider, die der damalige Landesstudio-Direktor Willi Haslitzer ungeschickterweise zur Josef Winklers Eröffnungsrede eingeladen hatte, der von deren Anwesenheit hinter den Kulissen selbst über alle Maßen konsterniert gewesen ist und der immer wieder stolz betont, dass mit einer Ausnahme noch nie ein Bachmann-Preis-Sieger Bücherpreisträger geworden ist (und der den Bachmann-Preis selbst, zweimal angetreten, beide Male nicht gewonnen hat, ganz einfach weil bei der Abstimmungsarithmetik das Glück gegen ihn war). Das ist kein Argument, bloß ein gesellschaftspolitischer Reflex, aber jetzt, wo sich in gespenstisch breiter Einigkeit auch Herr Petzner, der Politiker mit den schlechtesten Manieren Österreichs, für die Erhaltung stark macht, sodass sich sein Lebensmensch in seinem Urnengrab umdrehen müsste, kann man die Verteidigung des Bachmann-Preises getrost bleiben lassen, ohne sich deswegen ins rechte Eck schieben lassen zu müssen.

Viele Jahre später, von 2007 weg, habe ich auf Einladung des Landesdirektors Willi Haslitzer, also für den Veranstalter selbst, für das Landesstudio (natürlich gegen Honorar) über die Preisveranstaltung im Radio muppetshowmäßig gemeckert. (Bis heute kolportiert Willi Haslitzer gern die – wahre – Schnurre, ich hätte live im Radio gesagt, dass ich leider nicht wüsste, wer gewonnen habe und ob sein Sieg verdient sei, weil ich ausgerechnet während der Siegerlesung im Garten mit dem Landesstudio-Direktor geplaudert habe?)


Eine Zumutung. Aus Sicht des Autors ist der Bachmann-Preis nach meinem Dafürhalten von Anfang an eine Zumutung gewesen und ist es bis heute: Denn es ist schweinedemütigend, gegeneinander zu lesen. Es ist schweinedemütigend, sich öffentlich in seiner Anwesenheit kritisieren zu lassen (ohne sofort mit Blitz und Donner in diese Kritik hineinzufahren und dem Kritiker seine Kritik in den Rachen zurückzustopfen) oder nur dabeizusitzen, wie irgendwelche Juroren über seinen Kopf hinweg fachsimplen oder pseudofachsimpeln, und es wird auch nicht weniger demütigend, wenn man – wie Teilnehmer Josef Haslinger – erklärt, die Chancen stünden besser als beim Zahlenlotto. Es gibt immer viel mehr Verlierer, auch wenn die Niederlagen ganz unterschiedliche Gestalten annehmen können.

Man kann zu Recht schlecht kritisiert werden. Das ist schlimm für den Schöpfer schöner Dinge. Man kann zu Unrecht schlecht kritisiert werden. Das ist schlimm für den Schöpfer schöner Dinge. Man kann eigentlich gar nicht kritisiert, sondern bloß paraphrasiert oder als Stichwortgeber für beliebiges Germanistenpalaver verwendet werden. Das ist schlimm für den Schöpfer schöner Dinge. Man kann gut kritisiert und bei der Preisfindung ohne Angabe von Gründen ausgesondert, übersehen, vergessen werden. Das ist schlimm für den Schöpfer schöner Dinge. Man kann am Eröffnungsabend einen Lesetermin um neun Uhr morgens zugelost bekommen – und dann dem Reglement entsprechend tatsächlich brav aufstehen und literaturbetriebsfolgsam um neun Uhr Mitternacht lesen: Das ist wahrscheinlich überhaupt das Schlimmste für den Schöpfer schöner Dinge!

Mir fielen viele Namen ein, die hoffend kamen und als Opfer gingen, Pedro Lenz etwa, Paulus Hochgatterer, Christian Futscher, Wolfgang Herrmann, Linda Stift, Daniel Wisser u.v. v.a.; mir fielen aber noch viel mehr Gesichter ein, deren Namen mir leider gar nicht mehr einfallen. Heerscharen von Bachmann-Preis-Verlierern mittlerweile. Große Autoren, denen so oder so Schlimmes angetan wurde. Und darum kümmert sich öffentlich niemand.

Es gibt die Zumutung, dass man den Bachmann-Preis sogar gewinnt, und dann aber trotzdem nichts aus einem wird: Peter Glaser etwa.

Und es gibt die seltsamste aller Zumutungen, dass man den Bachmann-Preis wie vor zwei Jahren Maja Haderlap als absoluter No-Name (und ohne Prosawerk in ihrer fünfzigjährigen Vorgeschichte) mit einem schönen Text verdient, wenn auch mit großem Abstimmungsmodalitätsglück gewinnt (nach einem 2-2-2-1 im Finale mit einem 4-3 im Stechen, einem noch nicht dagewesenen 2A+2CH–3D, man aber dann zu einer literarischen Schwuppdiwupp-Superheiligenfigur – in 24 Stunden vom Nobody zur Supernova und Santa Subito – aufgepumpt und mit Preisgeldern und -ehren (gar nicht nur literarischer Herkunft) zugeschüttet und ungeniert zugeweihnachtet wird. Das ist eine Zumutung für die Person selbst (die ihrer Heiliggesprochenheit ja gar nicht auch nur in Ansätzen entsprechen kann – und auch nicht entspricht), und es ist eine Zumutung für alle anderen Autoren. Einfach ein Paradigma für die brutale Hohlheit des literarischen Marktes. Da ist ja alles, was mit Ursache und Wirkung zu tun hat, völlig aus dem Ruder gelaufen?

Ganz glaube ich nicht an das Ende, auch wenn es mich nicht schrecken würde. Ich bin dafür, den Bachmann-Preis abzuschaffen und die frei werdenden 350.000 Euro einfach mir zu überweisen. Im Gegenzug schreibe ich dann, was ich will und lasse meine indignierten Kritiker hoch- und niederhüpfen. Das wäre einmal eine wirklich sinnvolle Kulturförderung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2013)

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