Eine Puppe gegen die Einsamkeit

(c) REUTERS (Toru Hanai)
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Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt kämpft mit einer rasch alternden Gesellschaft. Roboter als Helfer in der Altenpflege sind in Japan daher schon längst Realität geworden.

Japan ist nicht nur die Nation der intelligenten Maschinen, sondern auch die der alternden Gesellschaft. Die technologische Stärke wendet das Land auf seine demografischen Probleme an: Die Pflegerobotik ist ein Geschäft geworden, das sich kaum ein großes Unternehmen entgehen lassen will.

„Halten Sie ihn ruhig mal“, sagt Maryam Alimardani mit einem Dauerlächeln. „Drücken Sie ihn richtig an sich, wie einen Freund.“ Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Osaka freut sich über die Entwicklung, die sie vorbeigehenden Besuchern präsentiert. Sie heißt Hugvie und ist die billige Variante des Telenoid, einer puppenartigen Weiterentwicklung des Telefons. Durch sie soll ein Handy nicht nur die Tonspur von Kommunikation übermitteln, sondern auch körperliche Nähe bieten. Der Hugvie, wie auch der Telenoid, ähnelt einem menschlichen Rumpf plus Kopf. „Wer ihn während des Telefonierens umarmt, dem wird auch warm ums Herz“, sagt Alimardani. Es fühle sich an, als kuschle man mit dem Gesprächspartner.

Auf der Human-Robot-Interaction-Konferenz im März in Tokio war der Hugvie eine von vielen Entwicklungen, die das menschliche Leben effizienter, angenehmer oder autonomer gestalten sollen. Wissenschaftler und Industrievertreter aus der ganzen Welt trafen zusammen, um über selbst fahrende Mülleimer, Feuer löschende Roboter, kommunizierende Lernprogramme und diverse andere Innovationen zu diskutieren. Neben der Industrie und den Sicherheits-, Kriegs- und Rettungsbranchen ist ein Sektor ganz besonders im Kommen – die Pflegerobotik.

Maschine vermittelt Gefühle. „Der Hugvie ist besonders interessant für ältere Menschen, die kaum Körperlichkeit mit anderen Personen erleben“, sagt Alimardani. Umgerechnet kostet die Puppe, in deren Kopf ein Telefon geschoben werden kann, damit man die Puppe beim Telefonieren an sich hält, rund 40 Dollar. Der mit mehr Elektronik ausgestattete, aber ähnlich funktionierende Telenoid geht für das Zehnfache weg. Die Roboterpuppen seien nicht nur gut für Telefonate. „Man kann einen Film allein ansehen, fühlt sich aber nicht einsam. Sie verstehen die Signale eines Menschen und umarmen dann entsprechend.“

Gerade in Japan boomt das Geschäft mit derartigen Entwicklungen. In keinem anderen Land altert die Bevölkerung derart schnell und ist daher zusehends auf maschinelle Hilfe angewiesen. Schon heute ist jeder vierte der derzeit 127 Millionen Einwohner älter als 65 Jahre. Wegen der niedrigen Geburtenrate und steigenden Lebenserwartung wird dieser Anteil bis 2050 auf 40 Prozent steigen, während der Anteil junger Menschen sinkt. Österreich, Deutschland und etliche andere Länder beobachten dasselbe Phänomen, wenn auch mit geringerem Tempo. Deswegen arbeiten Universitäten, Unternehmen und Forschungsinstitute mit Hochdruck an Robotern, die auch Pflegearbeiten übernehmen können.

Japans Wirtschaftsministerium schätzt, dass das Marktvolumen von Assistenzrobotern im Gesundheitsbereich in 20 Jahren einen Wert von 400 Milliarden Yen pro Jahr erreichen wird (rund 3,26 Milliarden Euro). Das entspräche beinahe dem heutigen Wert aller jährlich in Japan hergestellten Industrieroboter, und da verzeichnet das Land den weltweit höchsten Robotereinsatz. Hinzu kommen Exportmärkte, wo immer sich die Demografie auf ähnliche Weise entwickelt.

Regelmäßig werden deswegen neue Pflegeroboter in die Welt gesetzt, und mittlerweile sind es die ganz großen Namen, die dieses Geschäft erobern wollen. Der Autohersteller Honda präsentierte etwa Anfang des Jahres elektronische Gürtel, die sich je nach Beinstellung und Muskelstärke an den Körper anpassen und das Gehen durch einen eingebauten Motor einfacher machen. Noch wiegt der sogenannte Stride Management Assist 2,4 Kilogramm und wäre zu teuer für den Markt. Aber das Unternehmen hofft, in den nächsten Jahren damit Geld zu verdienen. Bei der Vorstellung des Geräts waren die Reaktionen älterer Probanden überwiegend positiv.

Zuletzt entwickelten die beiden Betriebe Murata und Kowa Co. einen automatischen und intelligenten Roller mit einem ähnlichen Ziel. Im nächsten Jahr soll er auf den Markt kommen, bis 2015, so wird gehofft, sollen 10.000 Stück verkauft sein. Die Universität Tsukuba hat mit dem Roboterhersteller Cyberdyne sogar einen skelettartigen Anzug entwickelt, den mobil eingeschränkte Menschen überziehen und dadurch leichter aufstehen, gehen oder heben können. Durch vom Gehirn an die Hautoberfläche gesendete bioelektrische Signale erkennt diese Roboterhaut die geplanten Aktionen eines Menschen und unterstützt die dafür nötigen Bewegungen. Allerdings ist auch diese Entwicklung bisher nicht marktfähig, aufgrund der hohen Kosten.

Doch der Markt entwickelt sich. Auch Toyota, der aktuell größte Autobauer der Welt, hat investiert. Zuletzt kündigte das Unternehmen an, demnächst auch einen Gehassistenten anzubieten. Der ehemalige Präsident und derzeitige Vizepräsident Katsuaki Watanabe sagt, langfristig soll die Assistenzrobotik ein Teil des Kerngeschäfts von Toyota werden. Ähnlich sieht es mit Panasonic aus, einem der weltweit führenden Hersteller von Elektronikgeräten. Vor vier Jahren wurde das Unternehmen von Japans Wirtschaftsministerium mit dem Roboterpreis ausgezeichnet, weil es die intelligenten Maschinen als Systembausteine begreift. Das Wissen, das Panasonic von seinen Industrierobotern bezieht, verwertet es auch für mögliche Dienstleistungen in Krankenhäusern.

Hospi bringt das Essen. So gibt es Hospi, einen Humanoiden, der in Lazaretten Pillen, Mittagessen und andere Dinge nicht nur austragen, sondern auch autonom verabreichen kann. Eine der neueren Produkte von Panasonic ist ein Krankenbett, das sich aus der Waagerechten in einen Rollstuhl verwandeln kann. Menschen, die nicht eigenständig aus der Liegeposition kommen, können sich so nicht nur hinsetzen, sondern auch herumfahren. Längst wurden in Japan auch Roboter entwickelt, die Menschen ins Bett heben können. Das Unternehmen Tokai Rubber will das Produkt in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Riken ab 2015 für rund sechs Millionen Yen (ca. 50.000 Euro) pro Stück verkaufen, und erwartet damit Umsätze von zehn Milliarden Yen.

Viele dieser Entwicklungen helfen nicht nur pflegebedürftigen Menschen, sondern auch Pflegern, weil etwa das häufige Heben in Krankenhäusern nicht selten Rückenschäden hinterlässt. Gleichzeitig aber bilden die Krankenpfleger bisher auch eine Interessengruppe, die eine stärkere Anwendung von Robotern blockiert. Ein Grund ist die Sorge, irgendwann durch Maschinen ersetzt zu werden.

So produzieren Industrie und Forschung derzeit nicht selten für eine ungewisse Zukunft, oder eben das Ausland. Wegen hoher Sicherheitsstandards kommen viele Entwicklungen in Japan kaum zum Einsatz. „Skandinavische Länder“, sagte der deutsche Journalist und Roboterexperte Martin Kölling kürzlich bei einem Vortrag in Tokio, „sind in dieser Hinsicht deutlich aufgeschlossener und setzen die Produkte auch schneller ein.“ Allerdings dürfte sich das auch in Japan ändern. Eine Wachstumsstrategie der Regierung von 2010 sieht vor, Forschung und kommerzielle Anwendung insbesondere von Pflegerobotik zu unterstützen.

Schon jetzt gibt Japans öffentlicher Sektor rund ein Zehntel seines Budgets für Kranken- und Altenpflege aus. Binnen eines Jahrzehnts hat sich dieser Wert fast verdoppelt, eine Entwicklung, die in einer alternden Gesellschaft anhalten dürfte. Inwieweit daher Krankenhäusern und Pflegeheimen Zuschüsse für den Kauf der bisher teuren Entwicklungen gewährt werden ist ungewiss. Schließlich ist Japan mit 240 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet. Eine Hoffnung aber ist, durch Anreize zum Kauf von Robotern die Gesundheitskosten langfristig eindämmen zu können.

Gute Assistenten für die Menschen. Eine der Entwicklungen, die bereits in japanischen Pflegeheimen eingesetzt werden, ist der Hugvie. „Wer mit ihm zu tun hat, freut sich über die Gesellschaft“, sagte Alimardani im März. Kritiker sind eher der Meinung, solche Entwicklungen würden zur Vereinsamung pflegebedürftiger Menschen führen. Der Veranstalter der Human-Robot-Interaction-Konferenz, Takayuki Kanda von der Universität Kyoto, hält das für unsinnig: „Wir wollen gute Assistenten für die Menschen schaffen.“ Schließlich stünden die beim technischen Fortschritt im Mittelpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2013)

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