"USA helfen Syriens Rebellen zu spät"

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helfen Syriens Rebellen spaet(c) REUTERS (MUHAMMAD HAMED)
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Marokkos Außenminister Saad dine El Otmani befürwortet Waffenlieferungen an die syrische Opposition. Der EU wirft er vor, sich in Nordafrika zu passiv zu verhalten.

Die Presse: Was ist nach mehr als zwei Jahren Ihr Resümee des Arabischen Frühlings?

Saad dine El Otmani: Man kann grosso modo sagen, dass in ehemaligen Diktaturen, die keine Achtung für Menschenrechte und krasse soziale Disparitäten gekannt haben, regelrechte Explosionen und Revolutionen stattfanden. Die jetzige Übergangsphase kann lang dauern und kostspielig sein, nicht nur wirtschaftlich und sozial, sondern auch, was Menschenleben anlangt.

Der Arabische Frühling hatte auch Auswirkungen auf Marokko.

Nicht so heftig wie anderswo. Marokko hat gleich nach seiner Unabhängigkeit 1956 bewusst den Weg der Öffnung und der Reformen gewählt, wenngleich sie manchmal lange auf sich warten ließen.

Marokko, Jordanien, Saudiarabien – Monarchien haben sich als stabile Regierungsformen erwiesen.

Es scheint, dass Monarchien stabiler sind. In Ägypten oder Tunesien ist der Präsident einer Partei zuzuordnen. Wenn es dort zu Wahlen kommt, ist der Präsident infrage gestellt und versucht alles, um an der Macht zu bleiben. Dadurch entwickelt sich ein parteipolitischer Konkurrenzkampf. Der König nimmt nie an Wahlen teil, seine Legitimität wird nicht infrage gestellt. Das heißt, er hat mehr Möglichkeiten und auch größeres persönliches Interesse, Reformen einzuleiten.

Ihre Regierung wurde kritisiert, dass sie sich nicht stärker für Demokratisierung in Marokko eingesetzt hat.

Der Demokratisierungsprozess ist schwierig. Das muss nicht nur von der Regierung kommen, sondern auch von der Gesellschaft. Marokko ist offen für Kritik. Es gibt immer Verbesserungsmöglichkeiten.

Steht Ägypten eine Konterrevolution bevor? Die Armee hat begonnen, in den politischen Prozess einzugreifen.

Länder, die Revolutionen erlebt haben, brauchen Zeit, um ein Gleichgewicht unter den gesellschaftlichen Strömungen zu finden.

Wie lang wird diese Übergangsphase dauern?

Das weiß ich nicht. Externe Kräfte sollten die Probleme nicht vergrößern, indem sie die Völker noch mehr aufputschen. In Marokko spielen zwei Faktoren eine positive Rolle. Erstens ist der König von Natur aus ein Reformer. Zweitens ist Marokko eng mit Europa verbunden. Marokko orientiert sich eher an Europa. Es ist wichtig, dass die EU Reformen in postrevolutionären Länder unterstützt.

Ist die EU aktiv genug in der Region?

(Überlegt lang.) Die EU unternimmt nicht genug. Sie könnte viel mehr machen, wirtschaftlich, politisch und sozial. Europa müsste mehr an die Zukunft denken. Schauen wir in die Subsahara: Das Risiko illegaler Einwanderung, des Menschen- und Drogenhandels kann auf Europa übergreifen. Wir müssen nicht nur gemeinsam mit der EU eine Sicherheitspolitik betreiben, sondern auch die soziale Entwicklung vor Ort fördern. Theoretisch herrscht darüber Einigkeit mit der EU, alles ist geplant. In der Praxis fehlt es jedoch an den Finanzmitteln.

Neulich hat die EU das Waffenembargo gegen Syrien auslaufen lassen. War das gescheit?

Ja, ich glaube, das war notwendig. Die syrische Opposition muss stärker als bisher militärisch unterstützt werden. Denn sonst geht das Massaker am syrischen Volk weiter. In Syrien gibt es schon über 100.000 Tote zu beklagen. Das menschliche Leid ist unfassbar. Die USA helfen der syrischen Opposition viel zu spät. Das Schlimmste ist die Gefahr, die von Syrien für die gesamte Region ausgeht.

Fürchten Sie nicht, dass die Waffen in den falschen Händen landen, bei Extremisten wie al-Nusra?

Die terroristischen Gruppen sind international bekannt. Natürlich muss gezielt verhindert werden, dass sie die Waffen erhalten.

Glauben Sie denn, dass es eine militärische Lösung für Syrien geben kann?

Es gibt keine militärische Lösung für Syrien. Wenn ausländische Truppen in Syrien einmarschieren würden, wäre das ein Desaster.

Die syrische Armee hat zuletzt die Oberhand gewonnen. Da Sie nicht an eine militärische Lösung glauben, befürworten Sie direkte Verhandlungen zwischen der Opposition und Assads Regime?

Wir unterstützen die Bemühungen Russlands und der USA, eine Syrien-Konferenz in Genf zu organisieren. Das ist eine gute Idee, aber zuerst müssen sich Russen und Amerikaner einig werden. Die syrische Armee wäre allein nicht imstande gewesen, die Städte zurückzuerobern. Sie ist so stark, weil sie von außen unterstützt wird.

Sie meinen den Iran und die Hisbollah.

Ja.

Hat Ihre Regierung jemals versucht, in Syrien zu vermitteln?

Nie.

Warum nicht?

Das marokkanische Interesse liegt nur im humanitären Bereich. Marokko hat vor allem Nachbarländer Syriens unterstützt, die Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben.

Zur Person

Saad dine El Otmani (1956 in Inezgane geboren), ein Psychiater, ist seit 3.Jänner 2012 Außenminister der marokkanischen Koalitionsregierung, die von seiner islamistischen „Partei für Justiz und Gerechtigkeit“ angeführt wird. In Marokko hat König Mohammed VI. das letzte Wort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2013)

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