Abdel-Samad:"Moderate Muslimbrüder? Wie naiv!"

Moderate Muslimbrueder naiv
Moderate Muslimbrueder naiv(c) EPA (INGA KJER)
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Wie Präsident Mursi einen mörderischen Scheich umarmte und warum ein Mordaufruf schlimmer ist als eine Fatwa: Ein Gespräch mit dem von Islamisten bedrohten deutsch-ägyptischen Politologen Hamed Abdel-Samad.

Die Presse: Im Juni riefen Islamisten zu Ihrer Ermordung auf, da Sie bei einem Vortrag in Ägypten gesagt hatten, dass „religiöser Faschismus“ im Islam angelegt sei. Jetzt reisen Sie mit Vorträgen durch Deutschland, haben Sie keine Angst?

Hamed Abdel-Samad. In Ägypten, wo mir kein Polizeischutz, keine Staatsanwaltschaft hilft, musste ich untertauchen. Warum soll ich mich in Deutschland verstecken, weil mich dumme Fanatiker bedrohen? Wenn die mich zum Schweigen bringen wollen, will ich das nicht auch noch belohnen.

Ägyptens Präsident Mursi, der ums Amt kämpft, wurde bei den Wahlen 2012 von deutschsprachigen Medien gern „moderat“ genannt. Ist er das?

Ich habe darüber gelacht, wie naiv man sein kann! Die Muslimbrüder glauben nicht an Demokratie, höchstens an die Einmal-Demokratie, bis sie mit Wahlen an der Macht sind. Dann zerstören sie die Welt wie ein Trojanisches Pferd von innen. Gerade die österreichischen Medien haben ihre sogenannten Ägypten-Experten, Korrespondenten, die von moderaten Islamisten reden und uns so in die Irre führen! Sie verharmlosen die Gefahr, die auf uns zukommt.

Mehrere Scheichs haben auf TV-Sendern Ihren Tod gefordert. Wie hat Mursi reagiert?

Eine Woche nach der ersten Drohung hat der deutsche Außenminister verlangt, dass die ägyptische Regierung sich von den Mordaufrufen distanziert und die Urheber verfolgt. Zwei Tage darauf hat Mursi den Scheich, der zum Mord aufgerufen hat, Assem Abdel Maged, empfangen und vor laufender Kamera umarmt! Abdel Maged hat gesagt, ich müsse die Todesstrafe erleiden, auch wenn ich es bereue. Und der Korrespondent Ihrer Zeitung schreibt, das seien doch nur Fließbanddrohungen! Dieser Scheich hat die Schiiten bedroht, vier Tage später ging ein Mob zum Schiitenviertel und brachte vier Menschen um, darunter das Oberhaupt der Schiiten. Wen sonst sollte man ernst nehmen?

Auch andere Scheichs schlossen sich an?

Ja, Professor Mahmoud Shaaban von der Al-Azhar-Universität hat gesagt, ich müsse getötet werden und man brauche den Herrscher, sprich die Regierung, dabei nicht um Erlaubnis bitten. Und der berühmte Salafist Scheich Abu Ishak al-Huweini hat verkündet, dass jetzt Blutrache zwischen ihm und mir herrscht und diese Rache nicht verjähren wird.

Seit dem Fall Rushdie kennt fast jeder das Wort Fatwa. Gab es in Ihrem Fall eine Fatwa?

Es war ein direkter Mordaufruf, das ist ein paar Stufen schlimmer. Eine Fatwa ist eine religiöse Meinung, die sagt, dass man vom Glauben abgefallen ist. Da können die Gläubigen dann überlegen, wie sie damit umgehen sollen. Bei einem Mordaufruf ist kein Raum für Interpretation.

Wie wird es weitergehen mit den Muslimbrüdern? Mursi hat das Ultimatum des Militärs ausgeschlagen...

Er hat es nicht richtig ausgeschlagen, er hat eine schwammige Erklärung abgegeben, um sein Gesicht zu wahren. Es ist ja eine Ohrfeige, wenn der Verteidigungsminister dem Präsidenten ein Ultimatum stellt, laut Verfassung ist Mursi immerhin der Oberbefehlshaber der Armee. Er hat auch das Recht, den Verteidigungsminister zu entlassen, wagt es aber nicht. Er wagt auch nicht, vor die Kamera zu treten. Über zehn Millionen Ägypter waren gestern auf der Straße, in 24 Provinzen, und der Präsident lässt sich nicht blicken!

Das passt zum Bild einer führungsschwachen Marionette.

Ja, er wartet, dass die Führung der Muslimbruderschaft die Entscheidung für ihn trifft, aber die ist selbst ratlos.

Wie viel Rückhalt haben die Muslimbrüder noch?

Wenig. Kurz vor dem Sturz Mubaraks waren sie populär, da galten sie für viele als selbstverständliche Alternative. Jetzt hatten sie eine Chance und haben alle Fehler gemacht, die man in einem Jahr machen kann. Sie haben gezeigt, dass sie keine Ahnung von Wirtschaft, keine fähigen Experten haben. Und dass sie das Mitglied einer ehemaligen Terrorgruppe zum Gouverneur von Luxor gemacht haben, wo eben diese Terrorgruppe 1997 den Anschlag im Hatschepsut-Tempel verbrochen hat, zeigt, dass sie planlos sind und nur eigene Leute versorgen wollen.

Was, glauben Sie, wird passieren?

Die Muslimbruderschaft hat jetzt drei Wege, erstens den rationalen, Mursi wird geopfert, die Muslimbrüder werden Teil einer nationalen Einheitsregierung. Das wäre vernünftig für das Land. Dann gibt es die strategische Lösung, die Muslimbrüder ziehen sich vollkommen zurück und sagen, wir übergeben die Regierungsaufgabe zum Wohl Ägyptens an jemand anderen. Damit würden sie die Sympathien vieler gewinnen und könnten mit dieser Opferrolle neu starten. Die dritte ist die algerische Lösung: Sie schicken Milizen auf die Straße und terrorisieren die Leute. Das wäre selbstzerstörerisch, es wäre die Kriminalisierung der Gruppe, eine Wiederholung der Geschichte und ihre endgültige Demontage. Es wird sie auf den Misthaufen der Geschichte befördern.

Zur Person

Hamed Abdel-Samad, geb. 1972 in Ägypten, kam mit 23 nach Deutschland, er lehrte und forschte am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur an der Uni München und gehört zu den bekanntesten „Islamkritikern“ in Deutschland. Eine Fatwa gegen ihn gab es bereits nach seinem autobiografischen Buch „Mein Abschied vom Himmel“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2013)

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