Michael Köhlmeier eröffnet die 37. Tage der deutschsprachigen Literatur. 14 Autoren lesen um den Hauptpreis, darunter auch "Burg"-Star Joachim Meyerhoff.
Am Mittwochabend beginnen die "37. Tage der deutschsprachigen Literatur", um die jüngst eine Debatte entbrannte mit der Auslosung der Reihenfolge der Lesungen und einer Rede. Zur Eröffnung des kurz Bachmann-Preis genannten Bewerbs hält um 20.30 Uhr im ORF-Theater Schriftstseller Michael Köhlmeier die "Klagenfurter Rede zur Literatur". Sein Thema ist die "Betrogene Liebe".
Insgesamt lesen 14 Autorinnen und Autoren von Donnerstag bis Samstag beim Literaturwettbewerb vor Publikum und Jury aus bisher unveröffentlichten Texten. Österreich ist heuer nur mit zwei Autorinnen vertreten, mit Nadine Kegele und Cordula Simon. Unter den Autoren, die heuer teilnehmen, ist auch der bekannte Burgtheater-Schauspieler Joachim Meyerhoff (alle teilnehmenden Autoren: siehe Liste unten).
Diskussion um angedrohten Rückzug des ORF Für Diskussionen wurde diesmal schon vor den Lesungen gesorgt, nachdem ORF-General Alexander Wrabetz im Vorfeld das Aus für den Wettbewerb in den Raum gestellt und damit eine heftige Debatte ausgelöst hatte.
Zum 44. Mal findet dieser Tage das Wettlesen um den Bachmann-Preis statt. Es ist ruhig geworden im und um das Klagenfurter Literatur-Theater - in der Vergangenheit war das Wettlesen aber für kleine oder größere Skandale bekannt. Ein Rückblick >>> (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER) 1977. Gleich beim ersten Klagenfurter Wettlesen brüskiert Reich-Ranicki eine Kandidatin so sehr, dass sie weinend davonläuft und heimreist: „Das ist ein Skandal, wie sie schreibt. Wen interessiert schon, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur – das ist ein Verbrechen.“ (c) APA (GERT EGGENBERGER 1980. Gemeinschaftlicher geht es 1980 zu. Bachmann-Preis-Gewinner Sten Nadolny verteilt seine Gewinnerprämie von 100.000 Schilling unter den übrigen 17 Autoren, weil "Literatur nicht Gegenstand von Wettbewerben sein sollte" und um "den Wettbewerb zu entbittern". 1983. Rainald Goetz liest einen Text über die fragwürdigen Verhältnisse in psychiatrischen Anstalten („Subito“). Bei den Worten „Ihr könnt's mein Hirn haben. Ich schneide ein Loch in meinen Kopf . . .“ holt er ein Rasiermesser hervor und ritzt sich die Stirn auf (das Video auf YouTube). Bei der Preisverleihung geht er leer aus, aber die Screenshots vom blutbeschmierten Autor machen ihn berühmt und werden zu einem Symbol des Klagenfurt-Betriebs. (c) ORF 1990. Gleich zwei preisverdächtige Autoren werden aus dem Wettbewerb ausgeschlossen: die Österreicherin Margit Schreiner mit ihrer Urlaubsgeschichte vom „ersten Neger“ und der Deutsche Hubert Konrad Frank, der in Klagenfurt zum ersten Mal überregionale Aufmerksamkeit fand. Grund für die Ausschlüsse: Die Texte sind schon einmal veröffentlicht worden. (c) APA (Gert Eggenberger) 1991. Der Text „Babyficker“ des Schweizers Urs Allemann mit den wiederkehrenden Sätzen „Ich ficke Babys. Also bin ich vielleicht“ löst einen Skandal aus. Dem Autor wird vorgeworfen, er präsentiere die Wunschfantasien eines Pädophilen, die Debatte zieht sich bis ins Parlament. Die „Woge von Missverständnissen“ (Allemann) führt beim Autor zu einer gravierenden, ein Jahrzehnt andauernden Schreibhemmung, sie vernichtet seine Karriere. (c) imago stock&people (imago stock&people) 2000. Wegen Haiders Politik verbieten die Bachmann-Erben den Namen „Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb“. Der Bewerb heißt fortan „Tage der deutschsprachigen Literatur“. (c) APA (GINDL Barbara) 2007. Der deutsche Indiepop-Musiker und Schriftsteller Peter Licht liest mit dem Rücken zum Publikum, nur sein Hinterkopf wird gefilmt. Dennoch gewinnt er den 3sat-Preis und den Publikumspreis. Seine Verweigerung hat Methode: Bis 2006 waren weder Fotos noch biografische Details von ihm bekannt, auch bei einem Bandauftritt bei Harald Schmidt 2006 wurde nur sein Körper, nicht sein Gesicht gefilmt. (c) APA (GERT EGGENBERGER) 2009. Nach Rainald Goetz bringt mit Philipp Weiss wieder ein Autor ein körperliches Opfer, als dieser nach der Lesung seines Manuskripts "Blätterliebe" selbiges aufisst - immerhin eine Mahlzeit im Magen, denn preiswürdig fand die Jury das nicht. (c) APA (GERT EGGENBERGER) 2012. Der österreichische, heute in Hiroshima lebende Schriftsteller Leopold Federmair fällt bei seiner zweiten Teilnahme am Wettlesen vor allem auf, weil er Fotos von der Jury macht, während sie ziemlich vernichtend seinen Text diskutiert. (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER) Blut, "Babyficker'" und Beleidigungen Am Sonntag, nach dem dreitägigen Wettlesen, werden wie stets fünf Preise vergeben. Hauptpreis ist der mit 25.000 Euro dotierte Ingeborg-Bachmann-Preis, den im Vorjahr Olga Martynowa gewonnen hat. Das Wettlesen wird wie jedes Jahr live in 3sat übertragen.
Vorsitzender in der siebenköpfigen Jury ist wieder Burkhard Spinnen, neu im Jurorenteam ist der Schweizer Kulturvermittler Juri Steiner, der Corinna Caduff ersetzt. Neu ist auch der Moderator, statt Clarissa Stadler wird diese Rolle der gebürtige Niederösterreicher Christian Ankowitsch übernehmen.
Die gebürtige Ukrainerin überzeugt die Jury mit dem Text "Vielleicht Esther". Der Romanauszug erzählt von einer „Babuschka“, einer gehbehinderten Urgroßmutter, die sich 1941 in dem von den Nazis besetzten Kiew zu jenem Sammelplatz aufmacht, zu dem die Besatzer die jüdische Bevölkerung hinbefohlen hatten. Die Autorin will literarisch kenntlich machen, dass jede Erinnerung eine Konstruktion ist. Link: Zum Siegertext "Vielleicht Esther" (c) EPA (GERT EGGENBERGER) "Ich werde sagen: 'Hi!'" heißt der Siegertext des vergangenen Jahres. Die aus Sibirien stammende Autorin (auch Martynova) ist eigentlich in der Lyrik beheimatet. Ihr Prosatext handelt von dem Bub Moritz, der seine Ferien bei seinen gut situierten Verwandten verbringt. Der Text enthält witzige Einschübe, thematisiert die Multikulturalität und macht Ausflüge zur Bibel und zur Archäologie. Link: Zum Siegertext "Ich werde sagen 'Hi!'" (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER) Die Kärntner Slowenin siegte mit "Im Kessel", einem Auszug aus ihrem Romanerstling "Engel des Vergessens". In poetischen Bildern und mit ruhigem Textfluss beschwört sie darin eine Welt in Südkärnten, die vergangen scheint und - mit all ihren Abgründen - doch allgegenwärtig ist. Link: Zum Siegertext "Im Kessel" (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER) Im berührenden autobiografischen Roman "Rabenliebe" wird ein Zweijähriger von der Mutter, die in den Westen flüchtet, in der DDR zurückgelassen. Im vorgelesenen gleichnamigen Textauszug ist der Bub vier und fantasiert über das Motorrad, auf dem er in ein Heim gebracht wurde. Link zu dem Auszug aus "Rabenliebe" (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER) Der in Zürich lebende deutsche Mediziner polarisierte mit seinem Text "Bis dass der Tod" die siebenköpfige Jury zwar, konnte sich aber durchsetzen. Petersen las das letzte Kapitel eines geplanten (und bisher nicht veröffentlichten) Romans. Die Frau des Protagonisten ist durch eine schwere Erkrankung ein Pflegefall geworden. Er muss ihr Morphium spritzen, sie versorgen. Am Ende erschießt er sie, den geplanten Selbstmord führt er aber nicht aus. Link: Zum Siegertext "Bis dass der Tod" (c) APA (GERT EGGENBERGER) Der Siegertext "Der Kaiser von China" aus dem gleichnamigen Roman erzählt von Keith, der gemeinsam mit seinen drei Geschwistern bei seinem Großvater aufwächst und sich nach dem Tod des Großvaters auf eine fiktive Chinareise aufmacht. Die Jury lobte ihn als "hochkomischen" und "brillanten" Text.Link: Zum Siegertext "Der Kaiser von China" (c) APA (GERT EGGENBERGER) Seilers Siegertext "Turksib" handelt von einer märchenhaften Reise nach Kasachstan. "Turksib" steht kurz für die Turkestan-Sibirische Eisenbahn. Link: Zum Siegertext "Turksib" (c) APA (GERT EGGENBERGER) 2006 wählte die Jury einstimmig die Erzählung "Sie befinden sich hier" - und löste einen kleinen Skandal aus, hatte die Bloggerin doch vorher noch nie einen literarischen Text geschrieben. Sie schildert darin in Form des inneren Monologes Not und Verwirrung einer im Schnee erfrierenden Person. Link: Zum Siegertext "Die befinden sich hier" (c) epa apa (Gert Eggenberger) "Am Seil", einem Auszug aus Langs gleichnamigem zweitem Roman, verfolgt eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung aus wechselnden Perspektiven, an der schmalen Grenze zwischen Leben und Tod.Link: Zum Siegertext "Am Seil" (c) APA (GERT EGGENBERGER) Tellkamp überzeugte die Jury mit einem Auszug aus dem Roman "Der Schlaf in den Uhren". In der Erzählung schildert er das Kriegsende 1945 in seiner Heimatstadt Dresden aus der Perspektive eines Ich-Erzählers. Vier Jahre nach dem Sieg in Klagenfurt landete Tellkamp mit "Der Turm" einen Bestseller. Link: Zum Siegertext "Der Schlaf der Uhren" (c) APA (GERT EGGENBERGER) Den Zustand eines Menschen im Zwielicht zwischen Tag und Nacht, zwischen Leben und Tod griff die deutsche Autorin in dem Roman "Was Dunkelheit war" auf. 2003 las sie einen Auszug aus dem Text in Klagenfurt vor. Link: Zum Siegertext "Was Dunkelheit war" (c) EPA (Gert Eggenberger) In seiner "Geschichte vom Nichts" beschrieb der österreichische Autor, der in Berlin lebt, den Abschied von geliebten Menschen und die Poetik des Nichts.Link: Zum Siegertext "Geschichte vom Nichts" (c) APA (GERT EGGENBERGER) 2001 gewann der deutsche Schriftsteller mit seinem Auszugstext "Muttersterben". Darin führt die Nachricht vom Tod der Mutter den Ich-Erzähler zurück in die Vergangenheit. Thema der Erzählung, die später in einem gleichnamigen Band mit anderen Texten erschien, sind die Veränderungen, die eine Krankheit mit sich bringt. (c) APA (Gert Eggenberger) Einen titellosen Ausschnitt aus dem Detektivroman "Barbar Rosa", genannt "Auszug aus einem langen Prosatext", kürte die Jury zum ersten Gewinner des neuen Jahrtausends. Der Text wurde als "romantisches Schauermärchen" und "Endspiel des Humanismus" gelobt. (c) APA (EGGENBERGER GERT) Für ihre Erzählung "Der Fall Ophelia" erhielt die ungarische Schriftstellerin und Drehbuchautorin den Bachmann-Preis. Die Geschichte ist Teil ihres ersten Erzählbandes "Seltsame Materie" und beschreibt das Leben eines jungen Mädchens in einem Ungarischen Dorf. (c) APA (Gert Eggenberger) Die deutsche Autorin wurde für einen Auszug aus ihrem Roman "PONG" mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis geehrt. Mit der Auszeichnung gelang ihr der Durchbruch als international bekannte Schriftstellerin. (c) APA (Gert Eggenberger) "Wie man's nimmt" erzählt von fünf Menschen in der Provinz Ende des 19. Jahrhunderts. Neben dem Bachmann-Preis wurde der bayrische Autor für die Erzählung auch mit dem Clemens-Brentano-Preis ausgezeichnet. (c) APA (Eggenberger Gert) 18 Jahre nach Jonke siegete wieder ein Österreicher, ein Oberösterreicher. "Die Krautflut" brachte dem Sprachspieler den Ingeborg-Bachmann-Preis ein. (c) APA (W.fritz) "Geschenkt" hieß der Text, mit dem die Tochter Martin Walsers beim Bachmann-Wettbewerb überzeugte. Die Erzählung der schreibenden Malerin handelt von einer jungen Frau, die ihrem Vater am Telefon von Schäferstündchen erzählt. Die Provokation funktionierte, später veröffentliche Walser den Text unter dem trotzigen Titel "Dies ist nicht meine ganze Geschichte". (c) EPA (PETER ENDIG) Sten Nadolny kam mit einem späteren Bestseller in die Kärntner Landeshauptdtadt. Er las "Kopenhagen 1801", das das fünfte Kapitel des Romans "Die Entdeckung der Langsamkeit". Das Buch, das von dem Kapitän und Polarforscher John Franklin handelt, erschien drei Jahre, nachdem der Deutsche in Klagenfurt gesiegt hatte. Das Preisgeld teilte Nadolny auf alle Teilnehmer auf - um "den Wettbewerb zu entbittern". (c) EPA (Werner Baum) Generationen von Schülern kennen Ulrich Plenzdorf (1934 bis 2007) als Autor von "Die neuen Leiden des jungen W.". In Klagenfurt wurde er anno 1978 für den Text "kein runter kein fern" ausgezeichnet, der später bei Suhrkamp erschien. Im inneren Monolog haut ein Hilfsschüler, dessen Mutter in den Westen geflohen ist, von Zuhause ab und gerät in die Mühlen eines Demonstrationszuges. (c) EPA (Daniel Karmann) Bei der ersten Austragung 1977 ging der Österreicher Gert Jonke (1946 bis 2009) als Sieger hervor. "Erster Entwurf zum Beginn einer sehr langen Erzählung" hieß sein Siegertext. (c) APA (HANS KLAUS TECHT) Die Sieger der vergangenen Jahre Die Autoren im Überblick:
Larissa Boehning (geb. 1978), Deutschland, lebt in Berlin. Hannah Dübgen (geb. 1977), Deutschland, lebt in Berlin. Roman Ehrlich, (geb. 1983), Deutschland, lebt in Berlin. Verena Güntner, (geb. 1978), Deutschland, lebt in Berlin. Heinz Helle (geb. 1978), Schweiz/Deutschland, lebt in Biel. Nadine Kegele, (geb. 1980), Österreich, lebt in Wien. Benjamin Maack, (geb. 1978), Deutschland, lebt in Hamburg. Nikola Anne Mehlhorn, (geb. 1967), Deutschland, lebt in Heidgraben bei Hamburg. Joachim Meyerhoff (geb. 1967), Deutschland, lebt in Wien. Anousch Mueller, (geb. 1979), Deutschland, lebt in Berlin. Katja Petrowskaja, (geb. 1970), Deutschland, lebt in Berlin. Zé do Rock (geb. 1956), Brasilien, lebt in München. Philipp Schönthaler, (geb. 1976), Deutschland, lebt in Konstanz. Cordula Simon (geb. 1986), Österreich, lebt in Odessa Neben dem wieder mit 25.000 Euro dotierten Bachmann-Preis, den im Vorjahr Olga Martynowa gewonnen hat, gibt es auch heuer wieder den mit 10.000 Euro dotierten kelag-Preis, den 3sat-Preis (7500 Euro), den Ernst Willner-Preis (5000 Euro) sowie den von der BKS Bank gestifteten Publikumspreis in der Höhe von 7000 Euro.
(APA/Red.)
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