„Schändliches Kapitel in der Geschichte Europas“

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bdquoSchaendliches Kapitel Geschichte Europasldquo(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Empörung in Lateinamerika. Erzürnt reagieren mehrere südamerikanische Regierungen auf das Vorgehen gegen Evo Morales. Die Staatengemeinschaft UNASUR plant dazu einen Sondergipfel der Präsidenten.

Buenos aires. Der Aufruhr kam kurz vor dem Abendessen. Es war Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño, der am späten Nachmittag als Erster gegen die unfreiwillige Zwischenlandung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien protestierte. Kurz danach trat Boliviens Außenminister David Choquehuanca in La Paz vor die Mikrofone und zürnte: „Man hat das Leben des Präsidenten in Gefahr gebracht!“ Der Entzug der Überflugsgenehmigungen durch Frankreich und Portugal habe auf „böswillig verbreiteter Information“ beruht.

In Folge war es Ecuadors Staatschef Rafael Correa, der zum Telefon griff, um seine lateinamerikanischen Kollegen zu mobilisieren. Der 50-Jährige, der sich anschickt, nach Hugo Chávez' Tod das Fell des Latino-Leitwolfs überzustreifen, rief den peruanischen Präsidenten Ollanta Humala an. Humala ist derzeit Vorsitzender der südamerikanischen Staatengemeinschaft Unasur. Correa forderte, dass er einen Sondergipfel der Präsidenten einberufe. Zugleich kontaktierte Ecuadors Präsident seine argentinische Kollegin Cristina Kirchner mit der Information, Evo Morales werde in Wien festgehalten und dürfe Europa nicht verlassen. Der Fortgang des Präsidentenprotestes lässt sich nachvollziehen auf Basis jener 21 Twitter-Meldungen, die Cristina Kirchner am Dienstagabend in die Welt setzte. Die Mandatarin, die sich wie übrigens auch Correa oft als Opfer unkorrekter Medienberichte sieht, hat im Jahr der argentinischen Parlamentswahlen den 140-Zeichen-Service zu ihrem bevorzugten Sprachrohr erwählt, weil sie damit direkt die Nachrichtenagenda bestimmen kann. Einer ihrer Kurztexte, abgesendet um 20:21 Ortszeit, las sich so: „Definitiv sind alle verrückt geworden. Ein Staatschef und sein Flugzeug genießen absolute Immunität. So viel Unverfrorenheit kann doch nicht wahr sein.“

„Wir sind alle Bolivien!“

Der Kurznachrichtendienst – dessen Zentralrechner nebenbei bemerkt just in jenem Land steht, das die linken Latinos als die dunkle Macht ansieht, die dem ersten indigenen Präsidenten Lateinamerikas (Evo Morales) diese „Erniedrigung“ (so Kirchner) zugemutet hat – wurde während des bewegten Abends auch von anderen führenden US-Kritikern gefüttert: „Die Vorfälle sind EXTREM schwerwiegend“, twitterte Rafael Correa und kritisierte, ohne Namen zu nennen, die USA: „Wie sie auf internationalem Recht herumtrampeln!“ In einer weiteren Botschaft erklärte Correa die Vorfälle zu einer „Schicksalsstunde für die UNASUR. Entweder wir bleiben auf ewig Kolonien oder wir fordern Unabhängigkeit, Souveränität und Würde ein. Wir sind alle Bolivien!“

Dort, am Regierungssitz in La Paz, war es Vizepräsident Alvaro Gracía Linera, der Mittwochmorgen vor den TV-Kameras die Vorfälle als „Aggression auf den Präsidenten Evo, auf die indigenen Völker und auf das bolivianische Volk“ bezeichnete. Für den 50-jährigen Ex-Ideologen der maoistischen Tupac-Katari-Guerilla zählen die Ereignisse am Dienstagabend zu den „schändlichsten Kapiteln in der Geschichte mehrerer europäischer Länder“. Nicht nur weil sie gegen Gesetze des internationalen Luftverkehrs verstießen – sondern weil sie, so der während der Abwesenheit des Präsidenten Morales amtierende Staatschef, die Autonomie ihrer eigenen Völker negierten. Etwas hämisch sagte Linera: „Wir konnten feststellen, dass die Kolonien von heute nicht in Asien zu finden sind, nicht in Afrika oder Lateinamerika. Die Kolonien von heute befinden sich in einigen Staaten von Europa. Aber wir vertrauen darauf, dass die Bevölkerungen dieser Länder eher früher als später ihre Würde wiederfinden und jene Autoritäten zur Rechenschaft ziehen, die ihre traurige Funktion als Verwalter einer US-Kolonie spielen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2013)

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