Gebrochenes Recht in Europa – auf Zuruf der Amerikaner

Zeit, dass wir den Bourbon ins Meer schütten und unseren neuen Kolonialherren aus Übersee in den verlängerten Rücken treten.

Es ist schon einige Zeit her, seit in der neuen Welt der Tee ins Meer gekippt und eine Nation geboren wurde. Auch schon ziemlich lange ist es her, dass unter dem Einfluss von James Madison die Verfassung der Vereinigten Staaten mit allen „Checks and Balances“ und der Achtung der individuellen Menschenwürde entstand.

Nach leidvollen Erfahrungen, nach zwei Weltkriegen und der Überwindung totalitärer Systeme sind in Europa Demokratie entstanden, die wir mehr recht als schlecht leben. Wir versuchen dabei, eine gewisse Rechtsstaatlichkeit einzuhalten und nehmen uns oftmals die amerikanische Verfassung samt ihren diversen Zusätzen zum Vorbild.

Doch gerade diese USA setzen ihren Abhördienst NSA zur Ausspähung von Bündnispartnern ein, verwanzen Botschaften und EU-Büros, um sich bei Verhandlungen einen Informationsvorsprung zu verschaffen. Das ist sicher keine Terrorbekämpfung, sondern eine gegen europäische Rechtsordnungen verstoßende Straftat – das Verbrechen der Spionage. Hier wird widerrechtlich beschafftes Insiderwissen zum bewussten Nachteil der Verhandlungs-, ja sogar der Bündnispartner eingesetzt.

Dass die bei europäischen Unternehmen abgeschöpften Daten an amerikanische Konkurrenzbetriebe weitergegeben werden, hatten wir schon beim Echolon-Projekt. Jetzt erfolgt das eben wieder, nur technisch noch effizienter. Das widerspricht nicht nur den zivilen Wettbewerbsgesetzen, sondern steht auch unter Strafe – in Europa wie in den USA.

„Entrüstete“ Politiker

In der Dritten Welt beuten Kolonialmächte Bodenschätze aus, hier werden technisches, innovatives Know-how und interne Firmenkenndaten abgesaugt und zum Nachteil der europäischen Wirtschaft eingesetzt. Was aber tun europäische Politiker? Sie „entrüsten“ sich, wünschen Aufklärung über das, was man ohnehin schon vermutet, gewusst hat oder hätte wissen können/müssen.

Die ganze Welt als Guantanamo

Ohne Edward Snowden hätte die Öffentlichkeit diese Fakten nicht so direkt erfahren. Die Art und Weise aber, wie die USA jetzt gegen Snowden international vorgehen, ist eines Rechtsstaates absolut unwürdig, vor allem aber unglaublich überheblich. Die USA drücken der ganzen Welt ihre „Rechtsordnung“ ungefragt aufs Auge und verlangen ungeniert deren sofortige und weltweite Umsetzung.

Das Faktum, dass die USA der eigentliche Rechtsbrecher internationaler Normen und Rechtsstandards (Menschenrecht, Grundrechte etc.) sind, wird nicht einmal ansatzweise thematisiert. Die USA machen einfach die ganze Welt zu einem Guantanamo – zu einem rechtsfreien Raum, wo allein der Stärkere das Sagen hat.

Was besonders entrüstet, ist die Tatsache, dass europäische Staaten auf Zuruf der USA unterwürfig Rechtsnormen brechen. Anders kann man die Sperre der Lufträume über Spanien, Portugal, Italien etc. für den Überflug der Präsidentenmaschine von Boliviens Evo Morales nicht werten, auch wenn sich jetzt einige dieser Staaten nicht mehr daran erinnern wollen. Das Faktum des Rechtsbruchs auf Zuruf der USA bleibt.

Es ist an der Zeit, dass wir den Bourbon ins Meer schütten und unseren neuen Kolonialherren aus Übersee in den verlängerten Rücken treten. Wenn wir das jetzt nicht tun, werden wir zu Recht zukünftig nicht mehr ernst genommen werden, und ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Das mag kurzfristig zu Nachteilen führen, ist aber unumgänglich, um langfristig unsere Selbstachtung und Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten.


Dr. Helmut Hoppel (*1949 in Wien) ist Rechtsanwalt mit Büros in Bratislava, Budapest und Krems.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2013)

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