Bachmann-Preis: Mischmasch und Migration

Bachmann Preis Mischmasch Migration
Bachmann Preis Mischmasch Migration(c) Pixus Verlag/ Wolfgang Schnuderl
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Am zweiten Tag belebte sich das Wettlesen am Wörthersee, mit Performance und selbstreflexiven Texten.

Der zweite Tag des Bachmann-Wettlesens setzte mit einem Befreiungsschlag von den öden Adoleszenzgeschichten des Beginns ein. Der in Porto Alegro geborene Schauspieler und Kabarettist Zé do Rock trug einen unerhörten Text vor. Unerhört deshalb, weil er in einer von ihm erfundenen Kunstsprache verfasst ist: einer Mischung aus Brasilianisch, Deutsch, diversen Dialekten, etwa dem Schwäbischen, und einer Art Zé-do-Rock-Esperanto.

Nun gab es beim Bachmann-Wettbewerb schon oft Beiträge mit sprachlichen Verfremdungen, etwa Türkendeutsch („Kanak-Sprak“). Bisher waren es aber organisch entstandene Sprachen, die zum Material der Literatur wurden. Ob das bei Zé do Rocks Mischsprache, die niemand außer ihm spricht, auch der Fall ist, war Thema der anschließenden Diskussion. „Was ist Literatur?“, fragte Jurorin Daniela Strigl zu Recht. Burkhard Spinnen, der den Autor nach Klagenfurt eingeladen hat, verteidigte sich und den Autor damit, dass er sehen wollte, welche neuen Textformen es in Hinkunft (nach dem Bachmann-Preis?) geben werde.

Vielleicht aber war gar nicht die Sprache, sondern die Form des Textes aliterarisch? Die ist nämlich eine Mischung aus Kalauern, Schwänken, Anekdoten, Pointen und manch anderer Textsorte. Ob daraus ein literarisch konsistenter Text werden kann, ist weiter zu diskutieren. Jetzt schon klar ist, dass Zé do Rocks Beitrag unter dem Titel „Gott ist Brasilianer, Jesus anscheinend auch“ schon nach kurzer Zeit ermüdend war, weil man sehr bald wusste, wie er funktioniert. Er lebte auch sehr von der Performance des Autors, der den Text quasi „lebte“.

Dass Literatur von Migranten, die in Klagenfurt in den vergangenen Jahren stets reüssierten, ganz anders funktionieren kann, bewies die letzte Lesung des Tages. Die 1970 in der Ukraine geborene Katja Petrowskaja emigrierte nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl mit 16 nach Deutschland und schreibt, wie die Vorjahressiegerin des Bachmann-Preises, Olga Martynova, auf Deutsch. Sie las den Text „Vielleicht Esther“ langsam, in getragenem, nicht aber in pathetischem Ton. Die Art des Vortrags entsprach dem Thema des Textes. Es geht darin um die Aneignung der Geschichte durch Nachgeborene. Über die Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg, insbesondere in Osteuropa, weiß man nun schon vieles – und doch wenig von individuellen Fällen. „Lasse der Herrgott dich so viel wissen, wie ich nicht weiß“, beginnt Petrowskajas „Vielleicht Esther“. Mit diesem Einstieg macht sie das Wissen bzw. Nichtwissen über jemandes Verbleib in dieser Zeit zum Thema. Das fügt den vielen Geschichten über die Ermordung von Juden eine poetologische Dimension hinzu. Das Publikum zeigte sich begeistert. Da wurde unverkennbar ein preiswürdiger Text vorgestellt.

Ausbruch aus dem Matriarchat

Viel kontroversieller verliefen die Diskussionen nach der Lesung der zweiten Österreicherin in diesem Jahr. Die 1986 in Graz zur Welt gekommene und in Odessa lebende Cordula Simon spielt in ihrem Text „Ostrov Mogila“ auf ganz andere Weise mit der Fiktion wie Petrowskaja. Hier ist es eine Art böses Märchen, das erzählt wird von einem Mädchen, das aus einer matriarchalischen Welt ausbrechen möchte, dem das aber nicht gelingt. Die böse Alte, die Urgroßmutter, beherrscht darin eine archaische Gesellschaft, in der alle (Männer) beseitigt werden, die nicht ins Bild passen. Eine „Blumenschürzenhölle: „Wir trugen schon längst alle die gleichen Blumenschürzen und die gleiche Frisur. Vielleicht hatte die Urgroßmutter entschieden, dass wir nur jüngere Ausgaben ihrer selbst werden sollen.“ Das hört sich nicht nach folkloristischer Geschichte an, die Meike Feßmann darin sehen wollte. Es ist eine Endzeitgeschichte, eine Anti-Idylle, die sehr wohl Bezüge zur Gegenwart hat. Cordula Simon hat damit die Chance, auf die Shortlist zu kommen, gewahrt.

Bei Philipp Schönthaler ist das schwerer vorstellbar. Seine „Künstlernovelle“ über einen Flötisten, der im heutigen Musikbetrieb aufgerieben wird, ist zu hermetisch. Seine Figur des Niklas Metnev, vermutlich dem Violinisten David Garrett nachgebildet, geriet zu sehr zur „Ausstattungsprosa“ (Strigl). So werden Details wie die Marken seiner Kleidung erwähnt, ohne dass man wüsste, wozu. Sprachlich ähnlich lückenlos, aber welthaltiger ist Heinz Helles Beitrag „Wir sind schön“.

Am zweiten Tag kam das Wettlesen also richtig in Schwung. Was Fiktion kann und darf, wurde an den Texten durchexerziert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2013)

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