Papier als kreatives Spielfeld

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Papier als kreatives SpielfeldReuters
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Eigenpublikationen als Ausdruck vielfältiger künstlerischer Interessen: eine Rundschau auf der vierten Independent Publishers and Zine Fair Vienna in der Kunsthalle Wien.

Sammler suchen ihr Glück. Auch in der Wiener Kunsthalle hofften und bangten sie letztes Wochenende, während der 4th Independent Publishers and Zine Fair Vienna. Bekommt man sie noch, die ersten Ausgaben von „ztscrpt“, einem „Zine“, das 2002 gegründet wurde? Oder findet man gar noch Einzelstücke früher Jahrbücher des Künstlerkollektivs monochrom? Für ein Gesamtpaket deren seltenen Exemplare müssten Sammler bereits 500 Euro hinlegen. Ein Preis, der für Publikationen dieser Art eigentlich nicht üblich ist, denn Zines oder Fanzines – benannt nach Science-Fiction-Fanmagazinen der 1920er- und 1930er-Jahre und Musikzeitschriften der 1960er – hatten ursprünglich eines gemeinsam: billig produziert und billig vertrieben zu sein.

Kultobjekt. Bernhard Cella, dessen Salon für Kunstbuch wohl die einzige Anlaufstelle in Wien ist, an der Künstlerbücher, selbst verlegte Magazine oder Fanzines archiviert und auch verkauft werden, kennt viele internationale Eigenpublikationen und besitzt selbst wertvolle Einzelstücke. Er weiß, wie sich Zines zu Kultgegenständen entwickelt haben: durch ihren ephemeren Charakter, ihre geringe Auflage, die sie zu Raritäten macht, und durch ihre besondere visuelle Gestaltung. „Mit diesem Kultstatus kann man spielen. Die publizierende Welt gibt sich heute dem Duktus des schnell produzierten Fanzines hin, im Grunde geht es aber um eine Form der Veredelung“, erzählt Cella. Das zeige sich häufig in kommerzieller Werbegrafik. Dieses Wechselspiel von billig und edel war aber auch bei der Gestaltung der auf der Messe gezeigten Eigenpublikationen gut zu erkennen: Kopierte Blättchen lagen neben aufwendig umgesetzten Büchern in der Tradition der Künstleredition. Letztere Vorgangsweise hat etwa der in Wien arbeitende Künstler Adam de Neige als Anleihe genommen. Sein Fotobuch „The Book of Small Things“ hat er nicht wie andere per Hand zusammengestellt, sondern per Offsetdruck, „da der Minimalismus und die feinen Farbnuancen der Bilder hohe technische Präzision und Klarheit verlangen“, wie er erzählt.

Technische Präzision ist bei der Kultur des Selbstpublizierens allerdings nicht immer gleichbedeutend mit neuesten Printverfahren. „Aus alt mach neu“ – das zeigt etwa das Wiener Kollektiv Soybot, das nicht nur mit dem Laserdrucker, sondern unter anderem auch mit der alten Technik des Risografen arbeitet. Die Schnelligkeit einer Kopie mache wiederum oftmals mehr Spaß als ein aufwendiger Druck, weiß Thomas Reitmayer von Create and Destroy Press, der beide Verfahren verwendet. Jedoch fügt er hinzu: „Nur weil etwas selbst hergestellt, also ,do it yourself‘, ist, muss es ja nicht gleich schlecht ausschauen.“

Experimentierfeld. Und „schlecht ausschauen“ war ohnehin keine Option für die Eigenpublikationen, die auf der Messe vertreten waren. Dazu trug der Qualitätsanspruch der verantwortlichen Kuratoren bei, die selbstredend nur gestalterisch wertvolle Werke zeigen wollten. Die beiden Gründerinnen und Hauptverantwortlichen der Messe, Cathérine Hug und Rita Vitorelli, mussten im Vorfeld die Spreu vom Weizen trennen. Beim Einladen haben sie gemerkt, dass mittlerweile auch hierzulande die Szene recht groß ist, auch wenn Österreich – Bernhard Cella zufolge – als Land ohne ausgeprägte Tradition des „independent publishing“ im Kunstsektor gilt.

Trotz Vorauswahl blieb die große Bandbreite der Eigenpublikationen sichtbar, nicht nur hinsichtlich verschiedenster Druck- und Gestaltungstechniken, sondern auch inhaltlich. Das Themenspektrum spannte sich von bilderbuchartigen Comics, wie sie Anna Kohlweis, auch als Sängerin Squalloscope respektive Paper Bird bekannt, gestaltet, über (visuelle) Literatur der Edition ch bis zu Büchern, die als Kunstobjekte gelten, wie etwa jene aus Albert Allgaiers Kleinverlag Material Matters. Diese Vielfalt sei in der Heterogenität der Szene begründet, die sich permanent verändere, so Hug und Vitorelli: „Insofern gibt es immer ein Überraschungsmoment.“

Das mache den Reiz solcher Messen aus, weiß auch Cella: „Das ist ja gerade das Interessante, dass man das Material auf die Leute loslässt oder die Leute auf das Material.“ Zudem lege das Medium selbst keine Grenzen des Gebrauchs fest. „Das Buch ist eine Grauzone“, erklärt Cella, „weil es nicht von vornherein als Kunstmedium festgelegt ist. Die Verwendung ist ein offenes Spiel.“ Der Autor – um es mit dem Philosophen Walter Benjamin zu sagen – als Produzent der eigenen Sache ist also frei, zu machen, was beliebt, und diese Unabhängigkeit lädt zum Experimentieren ein. Gutes Beispiel dafür ist das Kollektiv ztscrpt, das Personen einlädt, diverse Inhalte in ein lebendiges Zusammenspiel mit unterschiedlichen Schrifttypen zu bringen. Die Schwarz-Weiß-Gestaltung wird dabei durch Farbposter bekannter Künstler ergänzt, bei der Nummer „The Mix“ aus 2008 etwa von Albert Oehlen, der gerade im Wiener Mumok ausstellt.

Die verschiedenen Ansätze verbindet die Motivation, sich bewusst außerhalb des Zeitschriften- oder Kunstmarkts zu stellen und seine Öffentlichkeit selbst zu organisieren. Dazu gehört auch viel Idealismus, denn die Publikationen folgen keiner Marktlogik, weder finanziell – nur wenige beziehen Förderungen, Werbeanzeigen sind nicht zu finden – noch hinsichtlich der Auflagenhöhe, aber auch wegen der unregelmäßigenErscheinungsweise.


Print lebt. Teil der Motivation ist ein reges Mitteilungsbedürfnis über die eigene Arbeit und Interessen. Etwas, was Blogs auch leisten könnten, mit weniger Kosten und Zeitaufwand. Stefanie Sargnagel publiziert in „Extrem deprimierende Zines“ etwa ein „Best-of der Internetveröffentlichungen“, wie sie sagt. Für sie bedeutet Print immer auch eine Aufwertung der eigenen Arbeiten: „Dadurch verschwinden sie nicht in der Belanglosigkeit des Datenmülls.“ Hug und Vitorelli sind überzeugt, dass, während Großverlage zunehmend auf elektronische Medien umsteigen, bei Eigenpublikationen das Interesse für Gedrucktes wieder stärker geworden ist, und gerade für den Kunstsektor weiterhin gilt: The medium is the message. Liebhaber des haptischen Erlebnisses kommen dann auf Messen wie dieser ganz auf ihre Kosten.

Suchen und Finden

Sammler- und Netzwerktreffen

Die 4th Independent Publishers and Zine Fair Vienna diente auch als Plattform für den Austausch von Ideen unter den Teilnehmern. Sie nutzten die Gelegenheit, vor Ort Kontakt mit „Independent Publishers“ aus aller Welt zu knüpfen. Messen dieser Art sind neben Online-Netzwerken eine der wichtigsten Anlaufstellen bei der schwierigen Suche nach Zines, die meist ohne ISBN in Insiderkreisen zirkulieren. Im September wird etwa die Miss Read in Berlin wieder die internationalen Zine&Art-Book-Herausgeber versammeln.

Links

Salon für Kunstbuch1070 Wien,
Mondscheingasse 11, www.salonfuerkunstbuch.at

Create & Destroy Press
www.createanddestroypress.com

Edition Ch www.editionch.com

Ztscrptwww.ztscrpt.net

Comics von Anna Kohlweis
www.annakohlweis.com

Monochrom www.monochrom.at

Adam de Neige www.adamdeneige.com

Extrem deprimierende Zines stefaniesargnagel. tumblr.com

Soybot www.soybot.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2013)

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