Kanzler der verpassten Chancen

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Die Republik Österreich steht hervorragend da. Das sagt nicht nur die SPÖ, sondern auch die OECD. Herr Faymann hat also alles richtig gemacht. Oder?

Menschen kann man angeblich ja alles nehmen, nur ihre Lebenslügen nicht. Sie erfüllen nämlich einen überaus wichtigen psychohygienischen Zweck: Sie helfen dabei, besser mit den eigenen Unzulänglichkeiten und der nicht durchgängig erfreulichen Wirklichkeit zurechtzukommen. So ist der tief ins Minus gerutschte Kontostand keineswegs der überzogenen Lebensweise geschuldet, sondern dem viel zu niedrigen Gehalt. Schlechte Noten haben weniger mit der eigenen Leistung zu tun als mit überforderten Lehrkräften. Voluminöser werdende Körperteile sind nicht der eigenen Trägheit zuzuschreiben, sondern nahrhaften Nahrungsmitteln. Beziehungen zerschellen in der Regel immer nur am Partner, der ganz plötzlich nicht wiederzuerkennen ist.

In diesem Sinne liegt es in der Natur der Sache, dass die Bundesregierung mit ihrer Arbeit überaus zufrieden ist. Gut, in der soeben zu Ende gegangenen Legislaturperiode sei nicht alles perfekt gelaufen (Lehrerdienstrecht), aber in Summe könne sich die Performance schon sehen lassen. Schließlich wurde das Land vom Herrn Bundeskanzler mit sicherer Hand durch die Krise gesteuert, was nicht nur auf Plakaten der SPÖ zu lesen ist, sondern auch im „Österreich-Bericht“ der OECD. Österreich habe sich in der Krise gut behauptet, die Arbeitslosigkeit sei niedrig, der Lebensstandard hoch, der soziale Friede auch, und die Wirtschaft wachse noch immer. Schön.

Die Wirtschaft wächst – wirklich?

Nicht so schön ist, dass die Bürger dieses Landes heute um 20 Milliarden Euro mehr Steuern und Abgaben zahlen müssen als vor fünf Jahren. Ja, die Wirtschaftsleistung steigt, aber das nur noch virtuell. Die Regierung hat in den vergangenen fünf Jahren das gemacht, was bereits ihre Vorgängerkabinette seit Jahren praktizierten: den Staat im Namen seiner Bürger zu verschulden, um sich mit wachsenden Staatsausgaben Wirtschaftswachstum zu erkaufen. Das wäre ungefähr so, als würde ein Kaufmann vor seinem Geschäft Geld an Passanten verteilen, damit sie es in seinem Laden ausgeben und dort für höhere Umsätze sorgen.

Im Falle Österreichs übrigens ein ziemlich schlechter Deal. So erhöhte sich die Wirtschaftsleistung des Landes in der vergangenen Legislaturperiode zwar um 35 Milliarden Euro, die Staatsschulden sind im selben Zeitraum aber um 51 Milliarden Euro oder 28 Prozent angeschwollen. Das wiederum bedeutet, dass jeder aufgenommene Schuldeneuro die Wirtschaftsleistung gerade einmal um 68 Cent erhöht hat. Der Rest? Futsch. Dafür allein die Bundesregierung verantwortlich zu machen wäre zu billig, schließlich geht es hier um den gesamten Staatssektor – allerdings ist es die Bundesregierung, die den Kurs vorgibt.

Eine sich selbst täuschende Politik wird an dieser Stelle auch einwenden, dass der arme Staat ja die versagenden Banken zu retten hatte, wodurch die Kosten explodiert wären. Das ist nicht frei erfunden, aber selbst wenn man alle (auch die noch nicht angefallenen) Ausgaben für die Bankenrettung rausrechnet, sind die öffentlichen Schulden noch immer um 41 Milliarden Euro oder 22 Prozent höher als am Anfang der Legislaturperiode. Geradezu haltlos wird das Argument, wenn man weiß, dass die Staatsausgaben in den fünf Jahren vor Ausbruch der Krise schneller gewachsen sind als in den fünf Jahren danach.

Auch die Regierung Faymann I konnte und wollte nicht damit aufhören, die Gegenwart mit finanziellen Vorgriffen auf die Zukunft auszupolstern. Ausgegeben und Steuern erhöht wird hierzulande sofort, die strukturelle Sanierung des Haushalts in die nächste Legislaturperiode verschoben (wo sie vermutlich ebenfalls unerledigt bleiben wird). Immer neue wohlfahrtsstaatliche Segnungen, verpuffende Konjunkturpakete, nicht gestopfte Haushaltslöcher und eine furchtsame Regierung sind die wahren Gründe für die sich auftürmenden Schuldenberge. Zum Drüberstreuen eine Opposition, die dem Staatsausgabenrausch längst erlegen ist und sich weitgehend damit begnügt, den Laienrichter in diversen Untersuchungsausschüssen zu spielen.

Das alles soll nicht heißen, dass der Regierung in den vergangenen fünf Jahren nichts gelungen wäre. Keineswegs, mit der Einführung der Kurzarbeit hat sie tausende Arbeitnehmer im Job gehalten, obwohl die Aufträge schlagartig eingebrochen sind. Zudem hat das Wirtschaftsministerium den bürokratischen Aufwand für Betriebe reduziert, wenn auch nur zart.

Hohe Überschüsse trotz Krise

Das Problem liegt auch nicht so sehr darin, dass das Kabinett Faymann I alles falsch gemacht hätte – eher darin, dass es viel Richtiges nicht gemacht hat. Etwa die Einführung einer verfassungsrechtlich abgesicherten Schuldenbremse. Wie wichtig dieses Instrument ist, zeigt die Schweiz, deren öffentliche Haushalte in den vergangenen fünf Jahren der Wirtschaftskrise verlässlich Überschüsse abgeliefert haben. Ohne dass bis dato jemand auf die Idee gekommen wäre, das Land als „kaputtgespart“ zu bezeichnen. Von den Nachbarn abzukupfern wäre auch die Steuerhoheit für Länder und Gemeinden – ein geradezu wundersamer Anreiz, öffentliches Geld sparsam einzusetzen.

Weitgehend unberührt blieb auch das heimische Frühpensionsunwesen. Während in Österreich nur jeder fünfte 60- bis 64-Jährige arbeitet, sind es in anderen OECD-Staaten immerhin 40Prozent. Was der Regierung wiederum die Möglichkeit gibt, das „Jobwunder Österreich“ abzufeiern. Womit einmal mehr bewiesen wäre, dass es sich mit einer zurechtgebogenen Wirklichkeit ganz komfortabel leben lässt.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2013)


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