Untersuchung: Zweifel an C-Waffen-Einsatz in Syrien

Untersuchung Zweifel CWaffenEinsatz Syrien
Untersuchung Zweifel CWaffenEinsatz Syrien(c) REUTERS (MUZAFFAR SALMAN)
  • Drucken

Frankreich und USA sprechen von „Beweisen“ für den Einsatz von Sarin durch Assads Armee. Doch Experten zweifeln: Die Labortests seien nicht aussagekräftig.

Sehen Sie die Artilleriegeschütze?“, fragt Rebellenkommandant Abu Mahmud und deutet auf den Hügelkamm. „Sie haben die ganze Stadt im Visier.“ Minuten später schlägt eine Granate in etwa 400 Metern Entfernung ein. „Heute ist es ruhig“, sagt der 27-Jährige. „An anderen Tagen geht das ohne Unterbrechung so.“

Abu Mahmud führt zweihundert Mann an, die in As-Safireh einen Militärposten der syrischen Armee belagern. Dies ist keine gewöhnliche Einrichtung: Vor dem Bürgerkrieg wurden hier chemische Kampfstoffe hergestellt. As-Safireh, eine Kleinstadt nahe Aleppo, war einer der bedeutendsten von fünf Standorten in Syrien, an denen Massenvernichtungswaffen produziert wurden. Einige hundert Tonnen pro Jahr wurden laut Schätzungen westlicher Geheimdienste hier hergestellt. „Zutritt zur Abteilung 500 hatten nur Menschen mit einem Spezialausweis“, erinnert sich Mohamed, der als Feuerwehmann hier gearbeitet hat und jetzt mit den Rebellen kämpft.

Auch das toxische Nervengas Sarin wurde hier produziert. Es soll von syrischen Regierungstruppen im Bürgerkrieg mehrfach eingesetzt worden sein: Im Dezember meldeten Rebellen aus Homs zum ersten Mal einen chemischen Angriff. Im März kamen 32 Menschen in Khan al-Assal, einem Ort westlich von Aleppo, ums Leben. Staatschef Bashar al-Assad sagte, Islamisten benutzten chemische Waffen. Im April wurden in einem Stadtteil von Aleppo mehrere Menschen „vergiftet“. Aus einer Granate seien Rauch und Gase ausgeströmt. „Ärzte und Bewohner starben, als sie den Opfern zu Hilfe kommen wollten“, erinnert sich ein Arzt.

Sehr niedrige Sarinwerte

Damals ließ das französische Außenministerium Urin-, Blut- und Kleiderproben untersuchen, die ein Team der Tageszeitung „Le Monde“ aus Damaskus eingeschmuggelt hatte. Ein zweites Paket mit Blutproben kam aus Sarakeb, einer Stadt in der Provinz Idlib – man habe sie von „einem syrischen Arzt“ erhalten, hieß es in Paris. In Sarakeb hatte ein Hubschrauber der Luftwaffe zwei Behälter abgeworfen, in denen sich weiße Plastikgranaten befanden. Eine Frau starb, 13 weitere Personen wurden verletzt. Anfang Juni verkündete Frankreichs Außenminister Fabius, man habe den Beweis, dass Syrien Sarin eingesetzt habe. Auch die bisher zögerliche US-Regierung behauptete das.

Aber was ist nun mit den Testergebnisse? Paris hat bisher die Resultate nicht veröffentlicht. Offiziell ist nichts zu erfahren. Die Testergebnisse werden nur bei einem informellen Treffen preisgegeben. Von Werten „zwischen 270 ng/ml und 1040 ng/ml“, spricht der Verantwortliche, der seinen Namen nicht genannt haben will. Neben dem Metabolit, Isopropyl-methylphosphorsäure, wurde regeneriertes Sarin von 9,5 ng/ml und 3,3 ng/ml gefunden. „Die Werte sind nicht hoch“, gibt man in Paris zu. Aber sie bestätigten den Einsatz von Sarin. „Auch wenn es geringe Mengen sind, fällt es unter psychologische Kriegsführung.“ Nach all den Grausamkeiten, die das Regime in Damaskus der eigenen Bevölkerung angetan hat, würde dies nicht überraschen. Aber ist es so einfach? Sind syrische Truppen landesweit in Schutzkleidung unterwegs und verschießen Munition mit minimaler Dosis Sarin? Obwohl es keinerlei militärischen Vorteil bringt und obendrein das Eingreifen westlicher Staaten provoziert?

„Die Resultate sind sicherlich interessant“, sagt Stephen Johnson, Chemiewaffenexperte von CBRNeWorld, einer Firma, die auf Bedrohungsszenarien spezialisiert ist. „Vergleicht man aber die Ergebnisse mit denen der Opfer des Sarinangriffs in der Tokioter U-Bahn 1995, ist der Wert der französischen Urintests mehr als 1000-mal kleiner.“ Um den Sachverhalt zu klären, bräuchte man zusätzliche Informationen, so der Experte: „Man braucht Vergleichsproben von Nichtbetroffenen. Man muss wissen, wie die Proben genommen und transportiert wurden. Unter welchen Bedingungen liefen die Tests, wie oft hat man sie wiederholt und waren die Instrumente richtig geeicht?“

Auch für Paul, den C-Waffen-Experten der britischen Sicherheitsfirma Allen Vanguard, steht fest: „Diese Resultate sagen nicht viel aus.“ Um die tatsächliche Todesursache zu erfahren, müsste man mehrere Proben von jedem Opfer nehmen. „Bei diesen niedrigen Werten kann es sein, dass zu viel Insektenspray gesprüht wurde.“ Insektensprays basieren wie Sarin auf Pestiziden. „Unklar ist auch, mit welchen Waffen das Sarin abgeschossen worden sein soll.“ Wegen all der Unklarheiten will auch die UNO die französischen Ergebnisse nicht als Beweis für einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien akzeptieren.

Granate mit Beruhigungsmittel

Paris und Washington verweisen immer wieder auf Sarakeb und das kurdische Viertel Aleppos. Von den vermeintlichen Chemieattacken existiert eine Reihe von Zeugenaussagen und Videos. Auf einem Video etwa ist eine weiße Plastikgranate zu sehen, die als Geschoß verwendet worden sein soll. Fünf Militärexperten aus vier verschiedenen Ländern sind sich einig, dass es sich um eine Rauch- oder Tränengasgranate handelt, wie sie bei Demonstrationen eingesetzt wird. Für den Transport von flüssigem Sarin sei diese Granate ungeeignet. Offenbar wird sie im Iran eingesetzt und enthält ein Nervenberuhigungsmittel für Randalierer. „Dass es nicht um Sarin, sondern um andere chemische Verbindungen geht, wäre eine Erklärung“, meint Experte Johnson.

Für die Rebellen in As-Safireh ist die Diskussion über chemische Waffen nicht nachzuvollziehen. „Was macht das für einen Unterschied, ob sie uns mit normalen Waffen oder mit Chemie töten?“, fragt Yosef aufgebracht. „Das chemische Zeug wurde längst aus dem Militärkomplex weggeschafft“, meint indes Kommandant Abu Mahmud. „Und wenn sie uns bald damit angreifen?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Beweise fuer Giftgaseinsatz syrischer
Außenpolitik

Beweise für Giftgaseinsatz syrischer Rebellen?

Russland will beweisen können, dass die syrischen Rebellen Giftgas verschossen haben. Die USA behaupten, das Regime würde Gas einsetzen.
Außenpolitik

Syrien: Assad säubert seine Baath-Partei

Armee rückt bei Offensive gegen Rebellenhochburg Homs vor.
helfen Syriens Rebellen spaet
Außenpolitik

"USA helfen Syriens Rebellen zu spät"

Marokkos Außenminister Saad dine El Otmani befürwortet Waffenlieferungen an die syrische Opposition. Der EU wirft er vor, sich in Nordafrika zu passiv zu verhalten.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.