„Attila“ als absurde Farce auf unsere Abgründe

Attila
Attila(c) APA/MONIKA RITTERSHAUS (MONIKA RITTERSHAUS)
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Peter Konwitschny gelang mit seiner Inszenierung von Verdis früher Oper ein herzhafter, skurril bunter Comic, Publikumsprovokation inklusive. Die musikalische Seite fiel nicht ganz so geschlossen aus.

Halt die Goschen!“ Töne wie diese konnte man am Sonntag im Theater an der Wien hören. Dabei galt der Abend Verdis Frühwerk „Attila“. Allerdings in einer Inszenierung von Peter Konwitschny, der übrigens ersten echten des mit seinen Stückdeutungen gerne provozierenden Regisseurs für Wien. Freilich, die Staatsoper hat seinen „Don Carlos“ als Übernahme aus Hamburg im Spielplan, zuletzt kam Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ aus Zürich dazu, und bei den Festwochen war seine Grazer „Aida“ zu erleben.

Peter Konwitschny hat jetzt für Wien jedenfalls in die Vollen gegriffen und versagt sich und dem Publikum den Glauben an das Gute im Menschen. Wie einst Songcontest-Siegerin Nicole sitzt Odabella, Tochter des gemeuchelten Herrschers von Aquiläa, mit weißer Gitarre auf der Bühne, auf einem Showtreppchen. Doch statt „Ein bißchen Frieden“ besingt sie ihre Einsamkeit und sehnt sich nach Rache. Für Konwitschny hat Verdi mit „Attila“ Einspruch gegen eine kriegerische Welt eingelegt und auch keine Risorgimento-Sentimentalitäten bemüht.

Nur auf Krieg, Macht und Eroberung aus

Man trifft auf unverbesserliche Menschen, die einzig auf Krieg, Macht und Eroberung aus sind. Attila, der martialische, aber sich treu bleibende Eroberer, Ezio, das machtgierige Fähnchen im Wind. Odabella, die Starke, die sich mit Attila einlässt, um ihm endlich das Schwert in den Leib zu bohren, und dafür Foresto, ihren Kavalier aus Aquiläa, stehen lässt. Der kann nur wehleidig schmachten und ein misslungenes Giftattentat auf Attila versuchen. Hier gibt es keine Helden, kein Gut und Böse, kein Schwarz-Weiß, sondern comic-haftes Bunt ist angesagt. Zumindest wenn Konwitschny vor allem Humor und Irrwitz aus „Attila“ herausliest.

Er generiert eine absurde Farce, eine grelle Parabel auf die Abgründe der Menschen quer durch die Lebensalter: wild, mit platten Gags und guten, mit einigen Durchhängern und trefflich treffenden Pointen, die dann auch schon einmal die Emotionen im Publikum hochkochen lassen. Natürlich, eine Konwitschny-Deutung wie diese bleibt Geschmackssache. Dennoch ist sie mit intelligenter, überbordender Fantasie sehr präzise aus Text und Musik abgeleitet. – Alles beginnt hier im Kindesalter: In Felle gehüllt stürmen Attila und seine Kinderkrieger die Bühne, mit Küchenutensilien bewaffnet. Odabella ist die Anführerin einer Mädchentruppe, mit Gitarre auf dem Rücken, die sie als Running Gag immer wieder spielt. Ezio, mit Irokesenschnitt, bläst einen Weltkugel-Luftballon auf, als er dem Hunnenkönig vorschlägt, ihm das römische Reich und sich dafür Italien zu sichern. Mit Papiertschako und einem Kreuz aus Klobürsten führt Foresto die Flüchtlinge aus Aquiläa an, die in Papierschiffchen in der Lagune landen. Sein Erhängungsversuch am Scherenschnittbaum, den Johannes Leiacker in das zerschlissene Halbrund seines stimmigen Einheitsbühnenbildes gestellt hat, geht natürlich schief.

Der Auftritt des Papstes setzt dem Übermut dann ein Ende. Ab sofort ist man erwachsen und doch keinen Schritt weiter. Ezio träumt vom Nachruhm des gefallenen Helden, und Konwitschny lässt ihn in seiner Stretta gleich mehrmals von Kugeln niederstrecken und wieder aufstehen. Das Bankett gerät natürlich zum wilden Gelage. Attilas Mannen klopfen mit ihren Humpen auf den Tisch, Odabella greift zur Gitarre, und ein paar Jungfrauen hauchen ihr Leben beim russischen Roulette aus. Das Durcheinander des Ensembles klärt Konwitschny mit Comicblasen aus dem Schnürboden. Rollstühle werden hereingeschoben, in denen die Hauptfiguren Richtung Finale kreisen. Denn im Rollstuhl endet der Abend.

Selbst die Alten denken nur an Rache

Selbst die Alten denken nur an Rache und Krieg. Doch die Kraft reicht nicht mehr. Odabellas Schwert fährt ins Leere und Attila und alle anderen rafft das Alter dahin. Das Spiel kann sich wiederholen. Ein Spiel, das trotz einsatzfreudiger Sänger musikalisch nicht in gleicher Stringenz gelingt. Virilen, kernigen und ein wenig brachialen Verdi-Gesang lassen Dmitry Belosselsky als Attila und George Petean als Ezio hören. Lucrecia Garcia fegt mit ihrem etwas mittelmäßig timbrierten Turbosopran als Odabella tapfer durch die vertrackte Partie. Nikolai Schukoffs dem Belcanto nur mäßig zugetaner Tenor müht sich mit der hohen Tessitura, während Stefan Cerny ein würdiger Papst ist. Höchst verlässlich wie immer singt der Arnold Schoenberg Chor.

Kaum Inspiration kommt aus dem Orchestergraben. Das ORF Radio-Symphonieorchester folgt willig und sauber dem Dirigat von Riccardo Frizza, das vor allem durch unausgewogene und wenig animierende Tempi und fehlendes Brio auffällt. Allerdings, jetzt wehmütig vergangenen musikalischen Wiener „Attila“-Sternstunden nachzuhängen hieße auch, die heutige Verdi-Realität verkennen. Der Abend gehörte dann doch mehr der Regie, die natürlich ein lautes Pro und Kontra provozierte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2013)

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