Sexuelle Gewalt in Jugendhaft: Schon vier Fälle

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In einem internen Bericht an das Justizressort wurden mehr Fälle gemeldet, als bisher bekannt. Keiner der vier Fälle ist bisher gerichtlich aufgeklärt.

Insgesamt vier Fälle von mutmaßlichen sexuellen Übergriffen innerhalb verschiedener Jugendabteilungen von Haftanstalten wurden dieser Tage in einem internen Bericht an das Justizministerium gemeldet. Dies erfuhr „Die Presse“ exklusiv. Betroffen sind außer der Anstalt Wien-Josefstadt, die zuletzt wegen der Vergewaltigung eines 14-jährigen U-Häftlings (DiePresse.com berichtete) für Debatten gesorgt hatte, auch Anstalten in Gerasdorf (Niederösterreich), Graz und Linz.

Das Justizressort bestätigte am Dienstag das Vorliegen des internen Berichts bzw. die Gesamtzahl der gemeldeten Übergriffe. Keiner der vier Fälle ist bisher gerichtlich aufgeklärt.

Am ehesten dürfte dies bei jenem der Fall sein, der am Dienstag bekannt wurde: Schauplatz ist ausgerechnet die weithin als Musterhaftanstalt für Jugendliche angesehene Anstalt in Gerasdorf. Am Sonntag, dem 6. Jänner (Heilige Drei Könige), ereignete sich dort ein Fall in einem Freizeitraum. So wie mutmaßlich in der Josefstadt wurde auch vom dortigen Täter ein Besenstiel verwendet. Bei dem Jugendlichen handelt es sich um einen zur Tatzeit 17-jährigen Tschetschenen, der wegen schweren Raubes eine 30 Monate dauernde Haftstrafe verbüßt. Der Jugendliche wurde mittlerweile in die Justizanstalt Wien-Josefstadt (zurück)verlegt. Von ebendort hatte man ihn vor dem Übergriff nach Gerasdorf überstellt.
Das Opfer ist ebenfalls ein Strafhäftling – ein zur Tatzeit 16-jähriger Österreicher, der wegen Raubes neun Monate abzusitzen hat. Und schon zum zweiten Mal in Gerasdorf einsitzt.

Opfer verweigert Untersuchung

Die Tat wurde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt angezeigt. Es liegt bereits eine Anklageschrift vor. Wie „Die Presse“ erfuhr, könnte es aber Beweisprobleme hinsichtlich der Tat geben, da das Opfer eine umfassende medizinische Untersuchung verweigert hatte. Der Übergriff in Gerasdorf fand also nicht (wie jener in der Josefstadt) in einer längere Zeit versperrten Zelle statt. Auch gibt es in Gerasdorf keine Mehrpersonenzellen. Vielmehr wird dort jeder Insasse (das sind in der Regel 14- bis 18-Jährige, nur männliche Gefangene) in einem Einzelhaftraum angehalten. Derzeit befinden sich 91 Insassen in der Anstalt.
Wer ist schuld an dem Übergriff? Auf diese Frage liefert Anstaltsleiterin Margitta Neuberger-Essnether eine bemerkenswerte Antwort: „Da es mir noch nicht gelungen ist, mehr Personal zu bekommen, bin ich schuld.“ Bei 15 Lehrwerkstätten in der Anstalt seien jene 26 Justizwachebeamte, die in der Regel jeweils Dienst versehen, zu wenig. Auch gebe es nur eine einzige Sozialpädagogin.

Scharfe politische Kritik

Warum sprach Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) von einem bedauerlichen Einzelfall, als vor zwei Wochen die Geschehnisse rund um den 14-Jährigen bekannt geworden waren? Dazu bekam „Die Presse“ am Dienstag vorerst keine Stellungnahme von der Ministerin persönlich. Ihr Sprecher Sven Pöllauer teilte aber mit, dass Karl erst vorigen Freitag mit Einlangen des Berichts über insgesamt vier Missbrauchsfälle umfassend informiert worden sei.
Künftig sollen aber Wissenslücken vermieden werden: Karl habe angeordnet, dass ihr nicht – wie bisher übliche Praxis – „nur“ Fluchten aus den Gefängnissen, sondern eben auch sexuelle Übergriffe gemeldet werden.
Laut der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage im Jänner 2011 hatte es 2009 genau sechs offiziell registrierte sexuelle Übergriffe hinter Gefängnismauern gegeben (die Dunkelziffer dürfte weit höher sein), davon waren aber keine Jugendlichen betroffen. 2010 wurden acht Sex-Attacken aufgezeichnet, davon hatten sich vier gegen Jugendliche bzw. junge Erwachsene (bis 21) gerichtet.

Grüne: Ministerin Karl "rücktrittsreif"

Indessen bezeichnete der grüne Justizsprecher, Albert Steinhauser, Karl am Dienstag nach einem „Falter“-Bericht über den Gerasdorfer Fall als „rücktrittsreif“. Und: „Eine Ministerin, die öffentlich von einem Einzelfall spricht, obwohl ihr bekannt sein müsste, dass es weitere sexuelle Gewaltdelikte im Jugendstrafvollzug gegeben hat, ist nicht mehr vertrauenswürdig.“
Auch das Team Stronach übte scharfe Kritik. Jugendsprecher Stefan Markowitz sprach von einem Justizskandal und ergänzte: „Karl hat einen tragischen Missbrauchsfall in der Justizanstalt Josefstadt als Einzelfall verharmlost und will offenbar weitere Fälle vertuschen.“

("Die Presse" Printausgabe vom 10.6.2013)

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