Österreich: Sozialer Aufstieg gelingt oft

Sozialer Aufstieg gelingt
Sozialer Aufstieg gelingt(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Eine Studie räumt mit dem Mythos auf, wonach „die Armen immer ärmer werden“. In kaum einem anderen Land gelingt Einkommensschwachen der soziale Aufstieg so gut wie in Österreich.

Wien. „Die Einkommensschere geht auseinander“ ist ein viel zitierter Stehsatz von Ökonomen. Sie beziehen sich dabei auf den Umstand, dass die Einkommen am oberen Ende der Hierarchie stärker steigen als jene am unteren Ende. Der triviale Nachsatz solcher Studien lautet meist: „Die Armen werden ärmer, die Reichen reicher.“

Eine der „Presse“ exklusiv zur Verfügung gestellte Studie der Statistik Austria im Auftrag der Industriellenvereinigung hat sich dieser allgemein herrschenden Meinung angenommen. Die Statistiker beobachteten, wie sich im Zeitraum von 2000 bis 2011 die Einkommen der unselbstständigen Erwerbstätigen im Alter von 16 bis 65 ganz persönlich – und nicht vom einzelnen Individuum losgelöst – verändert haben. Und das Ergebnis ist selbst für die Experten verblüffend. Nur Großbritannien weist innerhalb der EU-Länder eine derart große Mobilität bei den Einkommen auf. In kaum einem Land gelingt Beziehern niedriger Einkommen der soziale Aufstieg so gut wie in Österreich.

„Die Karten werden jeden Tag neu gemischt“, sagt Clemens Wallner, wirtschaftspolitischer Koordinator in der Industriellenvereinigung. Soll heißen: Der Anteil der verfestigten Armut ist hierzulande sehr gering. Nur 26 Prozent jener Menschen, die zu den zehn Prozent mit den geringsten Einkommen zählten, verharrten in ihrer prekären Situation. Drei Viertel schafften den Aufstieg. Und selbst in den sogenannten Krisenjahren seit 2008 blieb diese Mobilität intakt.

„Die Einkommensschere geht in Österreich nicht auf“, sagt Wallner. Weder bei den Haushaltseinkommen, bei denen auch die sozialen Transfers eingerechnet werden, noch bei den teilzeitbereinigten Individualeinkommen. Er verweist die Aussage, wonach die Gesellschaft finanziell auseinanderdriftet, ins Reich der sozialen Mythen.

Teilzeitarbeit verwässert die Statistiken

Denn sehr oft sagen einzelne Einkommen nichts über den sozialen Status aus. Häufig setzt sich ein Haushaltseinkommen aus einem Ganztags- und einem Teilzeitjob zusammen. Gemeinsam verfügt man über ein komfortables Einkommen. Isoliert betrachtet tappen allerdings die Teilzeitbeschäftigten in die Armutsfalle der Statistiker. Und weil es in unserer Gesellschaft noch immer die Frauen sind, die den Großteil der Kinderbetreuung auf Kosten ihres Einkommens schultern, geht die Schere zwischen Mann und Frau zumindest nicht zu.

Dass der Wohlstand in Österreich (ohne Berücksichtigung des Geschlechts) relativ fair verteilt ist, geht auch aus dem Gini-Koeffizienten hervor. Er misst die Vermögensverteilung. In Europa liegt Österreich mit Ländern wie Finnland, Schweden und den Niederlanden im Spitzenfeld. Die großen Einkommensunterschiede weisen Bulgarien, Lettland, Spanien und Portugal auf. Auch in Österreich steigt der Gini-Koeffizient leicht an, weil die Zahl der Teilzeitarbeiter steigt.

Normalerweise beobachtet man in Ländern mit flacher Einkommensverteilung allerdings nur geringe Schwankungen bei den Einkommen. Tatsächlich müssen Menschen in Finnland, Schweden oder in den Niederlanden kaum fürchten, ihren Job zu verlieren. Allerdings sind die finanziellen Aufstiegschancen ebenfalls überschaubar. Anders in Österreich: Auch hier ist die Arbeitsplatzsicherheit vergleichsweise hoch, nicht allerdings jene des Einkommens. Gerade mittlere Einkommensschichten mit Jahresbruttogehältern zwischen 20.000 und 31.000 Euro weisen eine breite Streuung auf. Zwischen 2000 und 2011 mussten knapp 50 Prozent dieser Gruppe Einkommensverluste hinnehmen, etwas mehr als 20 Prozent verharrten und immerhin 30 Prozent schafften Einkommenssteigerungen.

Finanzielle Unsicherheit hält nicht lang an

Trotzdem gelten zwölf Prozent der Österreicher als armutsgefährdet. Doch die wenigsten leben lange in finanzieller Unsicherheit. Innerhalb von zwei Jahren gelingt es 70 Prozent, sich zu festigen. 40 Prozent schaffen den Schritt aus der Armut innerhalb eines Jahres. Auch die OECD zählt Österreich zu jenen Ländern, in denen der Weg aus der Armut am schnellsten gelingt. „Niemand ist in der Armut gefangen“, sagt Wallner. Erst im Mai attestierte die OECD Österreich ausgesprochene Krisenresistenz. Während in ganz Europa seit 2007 die real verfügbaren Einkommen deutlich sanken, stiegen diese hierzulande an. „Österreich blieb verschont“, sagte OECD-Experte Michael Förster zur „Presse“.

Doch wie jede Statistik hat auch jene, die nun von der Industriellenvereinigung vorgelegt wurde, ihre Tücken. Bei den untersten 40 Prozent ist von Bruttoeinkommen von unter 15.627 Euro pro Jahr die Rede. Es geht also vor allem um Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen stecken oder zwischen Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit pendeln. Und es geht vor allem auch um Arbeitnehmer, die so wenig verdienen, dass sie keine Lohnsteuer entrichten müssen. 39 Prozent der heimischen Arbeitnehmer zahlen keine Lohnsteuer.

Zumindest in einem Bereich, fürchtet Clemens Wallner, gehe die Schere in Österreich tatsächlich auf. „Und zwar im Bildungsbereich.“ Wer aus einem bildungsfernen Elternhaus stammt, schafft in der Regel kaum eine höhere Qualifikation. Nur 26 Prozent des österreichischen Nachwuchses erreichen einen höheren Bildungsabschluss als die Eltern.

>>>Zur Entgegnung der Statistik Austria

Sozialer Aufstieg
Sozialer Aufstieg (C) DiePresse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2013)

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