Schiebt die Bahn das Wirtschaftswachstum an?

Bahn Wirtschaftswachstum
Bahn Wirtschaftswachstum(c) APA/MARKUS LEODOLTER (MARKUS LEODOLTER)
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Auch Österreich muss sich auf eine lange Zeit der Stagnation einstellen und deshalb Investitionsmittel sorgfältiger einsetzen. Diese Botschaft ist offenbar noch nicht in allen Ministerien angekommen.

Ohne Bahn-Infrastrukturinvestitionen (derzeit rund 1,9 Mrd. Euro im Jahr oder 0,6 Prozent des BIPs) hätte es in Österreich 2012 kein Wirtschaftswachstum gegeben und würde es auch heuer keines geben, verkündet Infrastrukturministerin Doris Bures seit Anfang der Woche wiederholt.

Das ist natürlich richtig. Genauso richtig zumindest wie die in letzter Zeit ebenfalls gehörte Aussage, dass es ohne das (BIP-belebende) Frühsommer-Hochwasser heuer kein Wirtschaftswachstum geben würde. Wobei der Versuch der Regierung, die Beseitigung von Hochwasserschäden als geniales Konjunkturprogramm zu verkaufen, auf der argumentativen Jenseitigkeitsskala schon noch ein paar Stufen unter dem Bahn-Kalauer rangiert.

Die Aussage der Ministerin stützt sich auf eine zu Wochenbeginn präsentierte Studie der Industriellenvereinigung im Auftrag der ÖBB, die diesen Schluss durchaus zulässt. Man könnte die Sache, wenn man das Ganze nüchtern sieht, natürlich auch so interpretieren: Das Wirtschaftswachstum ist seit einiger Zeit nicht mehr nachhaltig, sondern rein schuldeninduziert. Was wir hier jetzt Wachstum nennen, ist also ein schlichter Vorgriff auf die Zukunft. Im Fall der Bahn ein Infrastrukturprogramm, das inklusive Finanzierung am Ende mehr als 60 Mrd. Euro (also annähernd ein Viertel des derzeitigen Staatsschuldenstandes) gekostet haben wird.

Wir wollen hier jetzt nicht darüber spekulieren, wieso die Industriellenvereinigung neuerdings für schuldeninduziertes Wachstum eintritt. Das ist ein privater Verein, und wenn dessen Mitglieder nichts dagegen haben, dann ist es ganz okay, dass man den früher verteufelten Herrn Keynes am Schwarzenbergplatz im Auftrag eines der größten Vereinsmitglieder neuerdings cool findet.

Der Punkt, der in diesem Zusammenhang besonders interessant ist, ist vielmehr der: Im gestern präsentierten Wirtschaftsbericht der Regierung sagt erstmals ein Ökonom (Ulrich Schuh von Eco Austria) öffentlich, was Sache ist (und hier schon ein paar Mal nachzulesen war): Weil wir nicht in einer normalen, sondern in einer strukturellen Krise stecken, ist es mit nachhaltigem Wachstum für lange Zeit vorbei. Ein Ein-Prozent-Plus beim BIP (das beispielsweise viel zu niedrig ist, um die Arbeitslosenrate stabil zu halten) werde in den nächsten Jahren der „Normalfall“ sein.

Schmerzlich, aber leider wohl zu befürchten. Wer eine Ahnung davon hat, wie BIP-Werte und der für die Berechnung des realen Wirtschaftswachstums relevante „Deflator“ zustande kommen, weiß: Die nächsten Jahre gibt es bestenfalls gehobene Stagnation. Das Modell Japan hält in Mitteleuropa Einzug.

Das hat ein paar unangenehme Auswirkungen. Die unangenehmste: Man kann sich in einer derartigen Situation nicht mehr per kreditfinanziertem Löchergraben aus der Krise herausinvestieren, in der Hoffnung, der bald kommende Aufschwung werde das dabei entstandene Finanzloch schon von selbst wieder zuschütten.

Man muss vielmehr, darauf hat auch Schuh im Wirtschaftsbericht hingewiesen, darauf achten, dass man nicht irgendwie investiert, sondern innerhalb des bestehenden Budgetrahmens Spielraum für strukturverbessernde Investitionen schafft, die das Land nach der Krise halbwegs weiterbringen.

Dazu gehören selbstverständlich auch Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Die sind aber kein „Selbstläufer“. Sie können den Wirtschaftsstandort entscheidend weiterbringen – aber auch einfach sinnlos Geld verbrennen. Wer wissen will, was mit Letzterem gemeint ist, der möge eine Suchmaschine seiner Wahl anwerfen und dort nach den milliardenteuren, mit EU-Geld errichteten Geisterflughäfen und Hochleistungsbahnen ins Nirgendwo in Spanien suchen. Auch deren Errichtung hat während der Bauphase dafür gesorgt, dass die spanische Wirtschaft kräftig „gewachsen“ ist. Und jetzt hat der spanische Staat den finanziellen Scherbenhaufen.

Eine bloße Infrastruktur-Investitionssumme sagt also noch nichts über den wirtschaftlichen Nutzen aus. Und der ist leider auch bei Teilen des heimischen Ausbauprogramms nicht ganz unumstritten. Die Koralmbahn beispielweise wird sich mit bloßem Personenverkehr (der bei den ÖBB derzeit aus gutem Grund stark wächst) nicht rechnen. Der Bahn-Güterverkehr stagniert aber de facto seit zehn Jahren und geht seit einiger Zeit (im Gegensatz zu den euphorischen Verkehrsprognosen des Ministeriums) sogar zurück.

Anders gesagt: Hier werden gerade viele Milliarden auf Basis von unrealistischen (man könnte auch sagen: falschen) Güterverkehrsprognosen investiert. Hat es hier schon einmal eine realistische Evaluierung mit ungeschönten Zahlen gegeben? Nein? Wieso eigentlich nicht? Brauchen wir nicht, weil BIP-Wachstum BIP-Wachstum ist, egal wie? Tja: Man muss, wenn man sich in Europa umsieht, zugestehen, dass die hiesige Regierung offenbar vieles richtiger gemacht hat als andere Euroländer. Aber auf dem Boden der Realität angekommen ist sie noch nicht.


E-Mails: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2013)

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