Urteil gegen einen toten russischen Anwalt

Urteil gegen einen toten
Urteil gegen einen toten(c) REUTERS (MAXIM SHEMETOV)
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Sergej Magnitskij starb 2009 in Haft. Er hatte einen Finanzbetrug aufdecken wollen.

Moskau/Wien/Red. 2009 starb Sergej Magnitskij in Haft. Gestern, dreieinhalb Jahre nach seinem Tod, wurde er von einem russischen Gericht wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Es ist der wohl erste Fall im postkommunistischen Russland, in dem ein Gericht einen Toten schuldig sprach; ein Strafmaß wurde nicht angegeben.

Die Umstände, unter denen Magnitskij zu Tode kam, sind bis heute nicht restlos geklärt. International hat der Fall für beträchtliche Spannungen gesorgt – vor allem zwischen Moskau und Washington wegen der US-Sanktionsliste gegen russische Beamte, die in die Causa verwickelt sein sollen.

Magnitskij hatte in Moskau als Anwalt für den US-Investmentfonds Hermitage Capital Management gearbeitet und seiner Firma zufolge ein Komplott zur Veruntreuung öffentlicher Gelder aufgedeckt. Er beschuldigte Mitarbeiter des russischen Innenministeriums, den Staat und Hermitage Capital um umgerechnet 128 Millionen Euro betrogen zu haben. Der in Großbritannien lebende Chef des Investmentfonds, Bill Browder, wurde am Donnerstag ebenfalls – in Abwesenheit – verurteilt. Sein Strafmaß: neun Jahre Lagerhaft.

Nachdem Browder zusammen mit Magnitskij die Korruption in russischen Behörden angeprangert hatte, wurde Magnitskij selbst wegen angeblicher Steuervergehen verfolgt. Er wurde 2008 festgenommen und blieb fast ein Jahr in Untersuchungshaft. Dort wurde er nach eigenen Worten misshandelt; er dokumentierte Übergriffe und die Nichtgewährung medizinischer Behandlung in unzähligen schriftlichen Beschwerden. Magnitskij starb im November 2009 im Alter von 37 Jahren in einem Moskauer Gefängnis.

Tod wegen Herzversagens?

Selbst der staatliche russische Menschenrechtsrat räumte ein, die Indizien deuteten darauf hin, dass Magnitskij erschlagen worden sei. Präsident Wladimir Putin wischte die Vorwürfe von Folter und Fehlverhalten jedoch beiseite und erklärte, der Mann sei an Herzversagen gestorben. Im März 2013 stellte die Justiz ihre Ermittlungen zum Tod des Anwalts ergebnislos ein.

Der US-Kongress beschloss im Dezember 2012 Sanktionen gegen russische Funktionäre, die am Tod des Anwalts Mitschuld tragen sollen. Russland verbot daraufhin Adoptionen russischer Kinder durch US-Bürger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2013)

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