Mit der posthumen Verurteilung des Anwalts Magnitskij manövriert sich Russlands Justiz ins Jenseits.
Die Toten schweigen bekanntlich. Ihr Schweigen muss selten so bedrückend gewesen sein wie bei der posthumen Verurteilung des russischen Anwalts Sergej Magnitskij in einem Moskauer Gerichtssaal. Die hölzerne Anklagebank – hinter Gitterstäben, wie in russischen Gerichtssälen üblich – blieb leer, weil der Angeklagte im Jahr 2009 verstorben war, ebenfalls hinter Gittern, in einem russischen Gefängnis, an den Folgen von Prügel und Folter.
In der Causa Magnitskij geht die russische Führung über Leichen, mehrfach und so sprichwörtlich, dass es zutiefst ungustiös ist: Zuerst entledigte man sich des aufsässigen Investors Bill Browder und dachte, dass ein toter russischer Anwalt als Kollateralschaden in Vergessenheit geraten würde.
Als dieser Plan nicht aufging, und der Fall Magnitskij dank Browders Lobbying zu einem internationalen Skandal geriet, rückte Moskau keinen Deut von seiner Strategie ab, ganz im Gegenteil: Mit der Verurteilung hat die Justiz das Unrecht zementiert, anstatt es aufzuklären – wie es unter anderem der Untersuchungsbericht des Kreml-Menschenrechtsrates gefordert hatte.
Eine Justiz, die einen solch fragwürdigen Prozess mit der Verurteilung eines Toten beschließt, manövriert sich selbst ins Jenseits. Gut, Magnitskij bleibt das Absitzen dieser irrealen Strafe erspart. Denn er hat bereits mit seinem Leben bezahlt. Die Toten müssen schweigen, doch vermutlich schütteln sie über Russlands Justiz den Kopf.
jutta.sommerbauer@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2013)