Schweden: „Gewaltfreie Erziehung ist Teil unserer Kultur“

Gewaltfreie Erziehung
Gewaltfreie Erziehung (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Ohrfeige ist hier bereits seit 1979 gesetzlich geächtet. Als erstes Land hat Schweden das Verbot der körperlichen Züchtigung festgeschrieben. Dass die Anzeigen steigen, werten man als positives Zeichen.

Kopenhagen/Stockholm. Die Schweden waren die Ersten: 1979 verabschiedete Schweden als erstes Land weltweit ein Gesetz, das Kindern das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung verspricht. Die UN schrieb ein ähnliches Gesetz erst 1989 international fest.

Das Gesetz wurde in Schweden gleich so stark beworben, dass es bereits ein Jahr nach seiner Einführung einen Bekanntheitsgrad von 90 Prozent in der Bevölkerung hatte. Ein Jahr nach Einführung des Gesetzes gaben noch 28 Prozent der Eltern an, ihre Kinder regelmäßig geschlagen oder „gestupst“ zu haben, die Zahl sank dann jedoch rasant. Im Jahr 2000 war es nur noch ein Prozent der Eltern, im Jahr 2006 zwei. Die Zahlen gehen aus Befragungen von Eltern, Kinder und aus Gesundheitsstatistiken hervor. Ein Grund für diesen extremen Rückgang ist wohl, dass die junge Elterngeneration heute bereits unter dem Schutz des Gesetzes groß geworden ist.

Generation ohne Gewalt

Psychologische Studien zeigen immer wieder, dass Eltern, die ohne Gewalt groß geworden sind, auch ihre Kinder nicht misshandeln. „Hier in Schweden gibt es ein großes Bewusstsein dafür, dass es nicht in Ordnung ist, seine Kinder zu schlagen. Gewaltfreie Erziehung ist in unserer Kultur und Tradition festgeschrieben“, sagt Agneta Åhlund, Chefin der Kinderschutzvereinigung „Rädda Barnen“. Als Teil der Kultur hat sich auch ein antiautoritäres Erziehungssystem etabliert. Zwischen Eltern und Kindern existiert eher eine Freundschaft als ein Machtverhältnis, den Kindern wird zugehört, Regeln werden langsam und ernsthaft erklärt, die Kleinen sind überall willkommen.

Doch die Schweden ruhen sich nicht auf ihren Lorbeeren aus. Denn auch hier gibt es eine Dunkelziffer, wie Åhlund betont. Die Schweden machen sich vor allem Sorgen darüber, dass manche Kinder beobachten müssen, wie der Vater die Mutter schlägt. Doch man diskutiert auch diese Themen öffentlich. Immer wieder ändert die Regierung das Kindergesetz, um es an die aktuellen Verhältnisse anzupassen. Seit 1993 gibt es etwa einen „Barnombudsmannen“, also einen Bürgerbeauftragten speziell für Kinder, an den sich Kinder wenden können und der jedes Jahr eine Empfehlung an die Regierung abgibt. Seit 2005 gibt es „Barnahus“, also lokale Zentren, in denen Polizei, Anwälte und der Sozialdienst zusammensitzen, um ihr Handeln im Fall einer Kindesmisshandlung besser koordinieren zu können.

Im Zweifel anzeigen

Dass seit dem Jahr 2000 immer mehr Kinder Anzeige wegen elterlicher Gewalt erstatten, führen Experten nicht darauf zurück, dass mehr Kinder misshandelt wurden. Im Gegenteil: Bei Lehrern, Betreuern – und auch den Kindern selbst – hat sich ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie wichtig es ist, die Gewalterfahrungen anzuprangern. Es gibt jedoch immer noch große Diskussionen darüber, wann eine Meldung gemacht werden sollte, schließlich kann eine Falschmeldung der Familie schaden. „Man sollte Kindesmisshandlung auch dann melden, wenn man nur den Verdacht hat“, sagt Agneta Åhlund. „Es ist nicht die Pflicht des Melders, herauszufinden, ob er recht hat oder nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2013)

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