Russland: Putins Gegner geht hinter Gitter

Russland Putins Gegner geht
Russland Putins Gegner geht(c) Reuters
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Das Regime hat seinen gefürchtetsten Herausforderer bis 2018 kaltgestellt. Der Charismatiker Alexej Nawalny wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Repression ist eine Reaktion auf Massenproteste.

Moskau. Das Urteil kam nicht gänzlich unerwartet. Und doch schlug es gestern in Russland ein wie eine Bombe. Alexej Nawalny, der wohl charismatischste und ambitionierteste aller Oppositionellen, muss für fünf Jahre ins Arbeitslager. Gemeinsam mit seinem früheren Geschäftspartner Pjotr Ofizerow wurde er gleich im Gerichtssaal abgeführt. Der Richter begründete sein Urteil mit der „Schwere des Verbrechens“, dessen sich Nawalny schuldig gemacht habe, und der „Gefahr, die er für die Gesellschaft darstellt“.

Mit der „Schwere des Verbrechens“ ist Veruntreuung gemeint. Die Anklage warf Nawalny vor, als Berater des liberalen Gouverneurs der 900 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegenen Region Kirow den staatlichen Forstbetrieb Kirowles zum Verkauf von 10.000 Kubikmetern Holz zu ungünstigen Konditionen an einen befreundeten Unternehmer gezwungen und um 400.000 Euro geprellt zu haben. Der Vorwurf war nicht neu. Allein, zwei Verfahren wurden in dieser Causa wegen mangelnden Tatbestandes zuvor bereits eingestellt.

„Die Regierung provoziert“

Überhaupt gilt der Prozess unter Beobachtern und selbst unter Mitgliedern des Establishments als politisch motiviert. Einen Freud'schen Versprecher dazu lieferte schon vor Monaten der Sprecher der Ermittlungsbehörde Wladimir Markin: Wer „die Regierung provoziert“, hob Markin an, brach den Satz dann aber ab. EU-Außenkommissarin Catherine Ashton äußerte sich gestern „besorgt“, weil die Schuld nicht erwiesen sei, Amnesty International nennt das Ganze eine „Parodie des Justizsystems“.

Die Verurteilung Nawalnys ist der Höhepunkt einer Welle der Repression, die mit dem Beginn von Wladimir Putins dritter Amtszeit im Kreml im Mai 2012 eingesetzt hat. Seither wurde eine Reihe von restriktiven Anlassgesetzen (gegen Blasphemie, gegen Versammlungsfreiheit) erlassen, zwei junge Frauen der Punkband Pussy Riot gingen hinter Gitter, der Starökonom und Rektor der Moskauer Higher School of Economics, Sergej Guriew, verließ im April fluchtartig das Land, weil er wegen einer nicht genehmen Expertise plötzlich mit Ermittlungen gegen ihn konfrontiert war.

Repression als Antwort

Die Repression ist eine Reaktion auf die Massenproteste, die nach den umstrittenen Parlamentswahlen im Dezember 2011 ausgebrochen sind und den bis dahin unbesorgten Kreml tief erschreckt haben. Nawalny, gelernter Jurist und Mitorganisator der Proteste, war auf der Liste des Kremls ganz oben, weil er es als Einziger verstand, den sozialen Protest gegen die wuchernde Korruption mit dem nationalistischen Sentiment zu kombinieren und damit beide neuralgischen Punkte der Gesellschaft zu berühren. Die Angst im Kreml bestätigte etwa Gleb Pavlovski, bis Ende 2011 Berater des damaligen Kreml-Chefs Dmitri Medwedjew, im Gespräch mit der „Presse“: „Nawalny kann die Massen versammeln.“

Der 37-jährige Nawalny ist der Vertreter einer neuen Oppositionsgeneration. Schon als er vor einigen Jahren als erster russischer Shareholder-Value-Aktivist begann, Korruption in Staatsbetrieben aufzudecken, überraschte er mit dieser unorthodoxen Methode nicht nur die staatlichen Entscheidungsträger, sondern auch die etwas verschlafenen Langzeitoppositionellen.

Die Eigenschaft, mit der er punktete, war sein Furor. Die ungestüme Art, mit der er etwa Toleranzgrenzen des Regimes auslotete, verdatterte mitunter sogar seine Anhänger. Für seinen Aktivismus musste er mehrmals für kurze Zeit ins Gefängnis. Nawalny nahm sich auch verbal nicht zurück und prägte für Putins Haus- und Hofpartei Einiges Russland die fortan geflügelte Definition als „Partei der Gauner und Diebe“. Und er wurde zum Repräsentanten einer seit den Massenprotesten im Dezember 2011 aufgetauchten Stimmung, die der Staatsmacht die Aura des Sakrosankten nahm und der Bevölkerung den Humor als politisches Instrument zurückgegeben hat, wie die russische Zeitung „Wedomosti“ dieser Tage treffend analysierte.

Formal als Kandidat zugelassen

Das Urteil zeigt auch: Wer seinen Kopf in Putins Russland zu hoch streckt, wird nach dem Prinzip der egalitären Nivellierung nach unten gestutzt. Zwar war Nawalny am Mittwoch formal als Kandidat zur Bürgermeisterwahl in Moskau im September zugelassen worden, doch hätte er nur im Fall seines Freispruchs tatsächlich antreten dürfen. Nun, wenn das Hafturteil nach der Berufungsfrist in Kraft tritt, hat Nawalny für den Rest des Lebens das passive Wahlrecht verloren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2013)

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