USA: Ein Totalschaden namens Detroit

Totalschaden namens Detroit
Totalschaden namens Detroit(c) AP (Paul Sancya)
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Misswirtschaft und Reformverweigerung trieben Amerikas größte Autostadt in den Bankrott. Die Geburtsstadt von Ford, General Motors und Chrysler taumelt seit Jahrzehnten den Abgrund hinab.

Während er langsam durch die Szenerie aus verkohlten Häuserruinen und mannshohem Präriegras fährt, die vor einer Generation ein Mittelschichtsviertel im Herzen der einst zweitreichsten Stadt Amerikas war, übt sich Frank Dmuchowski in Galgenhumor: „Detroit wird zurückkommen“, sagt der pensionierte Manager von der Chase-Manhattan-Bank zur „Presse“, „der Zeitrahmen dafür beträgt halt 50 bis 100 Jahre.“

Speramus Meliora; Resurget Cineribus: Wir erhoffen Besseres; Es möge aus der Asche auferstehen:Detroits amtliches Motto trifft den Nagel auf den Kopf. Sechs Jahrzehnte hat der Abstieg der Stadt, die der Welt das Auto bescherte, die die Kanonen und Panzer baute, welche Hitler besiegten, und die Amerikas breiten Massenwohlstand begründete, gedauert. Nun liegt Detroit auf dem Boden: Angesichts von mehr als 18 Milliarden Dollar (13,7 Milliarden Euro) Schulden und dem Scheitern einer Einigung mit den Gläubigern hat Kevyn Orr, der Notverwalter der Stadt, einen Insolvenzantrag gestellt. Das ist der größte Bankrott einer Stadt in der Geschichte der USA.

Detroit
Detroit(C) DiePresse

Zwei von drei Bürgern sind weg

„Lassen Sie es mich unverblümt sagen: Detroit ist pleite.“ In einer Videobotschaft teilte Michigans Gouverneur Rick Snyder den Bürgern am Donnerstagabend den Grund für seine Entscheidung mit. Im März war der Republikaner Snyder mit seiner Geduld am Ende gewesen. Er setzte den profilierten Insolvenzjuristen Orr als Notverwalter ein und entzog damit der überforderten Stadtregierung unter Bürgermeister David Bing die Macht. Bing, in den 1960er-Jahren ein gefeierter Basketballstar der Detroit Pistons und in der NBA-Hall-of-Fame verewigt, hatte es seit seinem Amtsantritt im Mai 2009 nicht geschafft, die Schuldenlawine zu bremsen und die zerbröselnden Strukturen der Stadt zu festigen.

Die alleinige Schuld am Untergang Detroits trägt er nicht. Die Geburtsstadt von Ford, General Motors und Chrysler taumelt seit Jahrzehnten den Abgrund hinab. Der Bericht von Notverwalter Orr an die Gläubiger Detroits vom 14.Juni fasst den Zerfall in drastische Zahlen. Ende 2012 hatte Detroit 684.799 gemeldete Einwohner – zwei Drittel weniger als 1950. Die Ankunft der japanischen Autohersteller in den 1970er-Jahren versetzte Amerikas Autoindustie gemeinsam mit dem Ölembargo von 1973 einen schweren Schock, den Detroits bis dahin aufstrebende Arbeiterklasse nicht verkraftete. Konzernführer und Gewerkschafter standen einander an Starrsinn um nichts nach: Während Erstere vergessen zu haben schienen, wie man Autos baut, die der Markt aufnimmt, beharrten Zweitere auf üppigen Gehältern und reagierten auf flexiblere Arbeitsbedingungen oft mit Streiks.

Die Mordhauptstadt Amerikas

Wer die Stadt verlassen konnte, tat es. Wer bleiben musste, weil er zu arm war, dessen Leben wurde zur Hölle. Die Polizei brauchte heuer im Durchschnitt 58 Minuten, um auf einen Notruf zu reagieren; US-weit betrachtet ist die Polizei binnen elf Minuten am Ort des Geschehens. Dabei ist Detroit die Stadt mit der höchsten Mordrate Amerikas. Viele der Mörder laufen frei herum. Denn nur elf Prozent der Fälle wurden gelöst.

Binnen Jahresfrist will Notmanager Orr das Insolvenzverfahren abgeschlossen haben. Das soll Detroit einen Neubeginn und frische Investitionen in Sicherheit, Bildung und Gesundheitswesen ermöglichen. Für die pensionierten Stadtbediensteten wird das hart; sie dürften bis zu 90Prozent der Rente verlieren. Waldek Raczkowski, Finanzmanager bei Ford, ist erleichtert: „Das war überfällig“, sagt er zur „Presse“. „Mit der Insolvenz verlieren die Politiker die Kontrolle. So reinigt man das System.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2013)

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