Christoph Kolumbus und sein „Libro de las profecías“

Der Entdecker sah sich berufen, das Evangelium bis ans Ende der Welt zu tragen. Welcher Glaube gibt mir ein inneres Feuer?

Christoph Kolumbus kehrte Ende November 1500 von seiner dritten Expedition nicht als Held zurück, sondern als Gefangener. Verwaltungsprobleme in den Kolonien der karibischen Inseln hatten den spanischen Hof veranlasst, Francisco de Bobadilla zu entsenden, der Kolumbus und seine Brüder kurzerhand in Ketten legte und zurück nach Spanien schickte. Kolumbus suchte auf Einladung des Kartäusermönchs Gaspar Gorricio in einem Kloster nahe Sevilla Zuflucht. Mit Gorricios Hilfe verfasste er das Buch seiner Lebensmission, das „Libro de las profecías“, dessen Original bis heute in der Biblioteca Colombina an der Kathedrale von Sevilla aufbewahrt wird. Darin legt Kolumbus den spanischen Monarchen Ferdinand und Isabella dar, wie seine Lebensmission vor allem von biblischen Prophetien vorgezeichnet ist. Er ist berufen, das Evangelium bis ans Ende der Welt zu tragen: „Wer könnte daran zweifeln, dass dieses Feuer nicht nur von mir kommt, sondern auch vom Heiligen Geist?“

Auf diesem Hintergrund erscheint die erste Kurzvita des Kolumbus in einem bemerkenswerten Zusammenhang. Zehn Jahre nach Kolumbus' Tod, 1516, ließ der genuesische Dominikaner Agostino Giustiniani eine Ausgabe des Psalters in mehreren Versionen drucken: auf Hebräisch, Griechisch, Arabisch, Aramäisch und mit drei lateinischen Übersetzungen. Der neunzehnte Psalm beginnt fulminant und geheimnisvoll: „Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament. Ein Tag sagt es dem andern, eine Nacht tut es der andern kund, ohne Worte und ohne Reden, mit unhörbarer Stimme. In alle Länder hinaus geht ihr Schall, ihre Kunde bis zum Ende der Welt!“ An dieser Stelle fügte Giustiniani in einer achten Spalte einen außergewöhnlich langen Kommentar ein, in dem er Kolumbus' Entdeckungen und missionarische Leistung als Erfüllung dieses Verses erklärt.

Heute sehen wir die Folgen der Entdeckung Amerikas mit kritischeren Augen. Mehrere Kulturen und Religionen der amerikanischen Ureinwohner sind verschwunden, und über Jahrhunderte erreichte ihre Verfolgung das Ausmaß eines kontinentalen Genozids. Lateinamerikas Befreiungstheologen lesen die Bibel mit deutlich anderen Akzenten als Kolumbus. Für sie ist die Befreiung der Unterdrückten im Exodus grundlegend. Kolumbus' missionarisches Bewusstsein mag man als religiösen Wahn sehen, als Selbstüberschätzung oder tragische Ironie der Geschichte. Dennoch bleibt es erstaunlich, wie viel Energie, Entdeckermut und Durchsetzungskraft die religiöse Lebensdeutung in Kolumbus geweckt hat. Das Leben gewinnt eine andere Perspektive aus dem Blickwinkel Gottes. Welcher Glaube gibt mir ein inneres Feuer?


Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundschreiben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2013)

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