Haydns Oratorium als vollendete Klangrede von Harnoncourt

Alexander Pereira eröffnete seine zweite Salzburger Festspielsaison mit der »Overture spirituelle«. Am Beginn stand eine umjubelte »Schöpfung« unter Nikolaus Harnoncourt: eine Darbietung von seltener Dichte und Perfektion mit dem Concentus Musicus und dem Arnold Schoenberg Chor.

Noch sind die Salzburger Festspiele nicht eröffnet und doch haben sie schon begonnen. Was auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein scheint, ist keiner. Denn auch diese Festspiele begleitet Intendant Pereira kontemplativ ein: mit einer Perspektive geistlicher Musik.

Wartete er im Vorjahr in diesem Rahmen mit ausgesuchten Beispielen jüdischer geistlicher Musik auf, so steht diesmal der Buddhismus im Zentrum. Mit dem abendländischen Gregorianischen Choral vergleichbaren einstimmigen Solo- und Chorgesängen buddhistischer Mönche, den sogenannten Shōmyō-Gesängen, traditioneller Gagaku-Musik, aber auch mit durch den Zen-Buddhismus angeregter Meditationsmusik. Der Genius Loci kommt nicht zu kurz, denn selbstverständlich ist in dieser „Ouverture spirituelle“ auch Platz für Mozart, der neben dem Requiem mit Kirchensonaten sowie der c-Moll-Messe vertreten ist, die an der Spitze venezolanischer Ensembles und internationaler Solisten Anfang August Gustavo Dudamel dirigieren wird.

Am Beginn dieses – man kann es durchaus so nennen – kleinen Festivals geistlicher Musik stand wie im letzten Festspielsommer Haydns „Schöpfung“. War diese Aufgabe im Vorjahr John Eliot Gardiner mit seinem Chor und Orchester anvertraut, so lud Pereira diesmal Nikolaus Harnoncourt dafür ein, der in den folgenden Wochen auch noch die beiden übrigen Haydn-Oratorien dirigieren wird: die „Jahreszeiten“ mit den Wiener Philharmonikern und „Il ritorno di Tobia“ mit dem sich aus Mitgliedern des Zürcher Opernhauses rekrutierenden Orchestra La Scintilla.

Bei der „Schöpfung“, einem seiner auch deshalb bevorzugten Werke, weil sie seinen höchstpersönlichen Intentionen besonders nahesteht, setzte Harnoncourt aber auf jene Musiker, mit denen er seit Jahrzehnten zusammenarbeitet: den von ihm begründeten Concentus Musicus und den wiederum von Erwin Ortner exzellent einstudierten Arnold Schoenberg Chor. Müßig darauf hinzuweisen, dass sie ideal aufeinander eingespielt sind und ebenso schlafwandlerisch sicher Harnoncourts Absichten umzusetzen wissen. Längst geht es nicht mehr um Fragen von Artikulation oder Phrasierung. Das alles hat Harnoncourt mit seinen Mitstreitern die Jahre über mustergültig erarbeitet. Was ihn interessiert, ist das Dechiffrieren jener vielfältigen Geheimnisse, die diese Haydn-Partitur immer noch bereithält. Oder, um es mit seinen Worten zu sagen: den jeweiligen Schlüssel zum jeweiligen Stück zu finden.


Betont ruhige Tempi. Ob Harnoncourt da nicht untertreibt? Denn so dicht, so sehr auf die Aussage bezogen, wie es im Großen Festspielhaus mitzuerleben war, hört man dieses Oratorium selten. Was damit zusammenhing, dass er betont ruhige Tempi anschlug, damit Solisten wie Choristen stets die Möglichkeit zu Klarheit und Plastizität bot. Zudem lenkte er den Blick auf die spezifische Rhetorik des Werks auch dadurch, dass er durch bis ins letzte Detail überlegte Zäsuren die Verknüpfung von Musik und Text so verdeutlichte, dass sich wie von selbst eine nur so und nicht anders gedachte Einheit ergab. Hätte es noch eines Beispiels bedurft, was der Dirigent mit dem von ihm seinerzeit kreierten Begriff „Klangrede“ gemeint hat, hier hat er es – man darf es durchaus so sagen – vollendet vorgezeigt.


Ideale Harmonie. Nicht verwunderlich, dass ob einer solchen Interpretation die Instrumentalisten (darunter Milan Turković, der mit diesem Konzert ein letztes Mal beim Concentus mitwirkte) und Choristen zu besonderer Form aufliefen, miteingeschlossen das ideal miteinander harmonierende Solistenterzett Martina Janková, Michael Schade und Florian Boesch. Sie spielten sich nicht nur die Pointen souverän zu, sondern reagierten ebenso flexibel auf Harnoncourts dem Wort-Ton-Kontext geschuldeten, prägnanten Tempomodifikationen. Auch das alles andere als selbstverständlich. Oder doch? Womit sonst als dem Besten soll man bei Festspielen konfrontieren?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

SALZBURGER FESTSPIELE 2013: FOTOPROBE 'JEDERMANN'
Salzburger-Festspiele

"Jedermann": Vor dem Dom wird wieder gestorben

Die "Jedermann"-Saison hat begonnen. Bei den Salzburger Festspielen spricht man in Superlativen, die Festspiel-Präsidentin ist bereits vor der Eröffnung zufrieden.
SALZBURGER FESTSPIELE 2013: FOTOPROBE 'JEDERMANN'
Bühne

Salzburger Festspiele: Erfolg für neuen "Jedermann"

Julian Crouch und Brian Mertes schufen eine Neuinszenierung von großer Ernsthaftigkeit und beachtlichem Schauwert.
Salzburger-Festspiele

Matinee: Mozart, in die Moderne geweitet

Die erste Matinee begeisterte: Mozarts Requiem wurde mit dem von Tōru Takemitsu konfrontiert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.